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BFH zu den Anforderungen an eine Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG

  1. Die Anforderungen an eine Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 des Um­satzsteuergesetzes (UStG) erfüllt ein Dokument jedenfalls dann, wenn es den Rechnungsaussteller, den (vermeintlichen) Leistungsempfänger, eine Leis­tungsbeschreibung sowie das Entgelt und Angaben zur gesondert ausgewiese­nen Umsatzsteuer enthält (Bestätigung der Rechtsprechung; s. z.B. Urteile des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 17.02.2011 ‑ V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734 = SIS 11 16 52; vom 21.09.2016 ‑ XI R 4/15, BFHE 255, 340, BStBl II 2021, 106 = SIS 16 26 21).
  2. Auch im Anwendungsbereich des § 14c Abs. 2 UStG sind Bezugnahmen auf andere Dokumente sowie vom Steuerpflichtigen beigebrachte zusätzliche In­formationen vom Finanzamt zu berücksichtigen (Anschluss an die BFH-Urteile vom 16.03.2017 ‑ V R 27/16, BFHE 257, 462 = SIS 17 10 25; vom 26.06.2019 ‑ XI R 5/18, BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521 = SIS 19 15 52).
  3. Ein Dokument, das trotz der in Bezug genommenen ergänzenden Unterla­gen mit seinen überflüssigen und widersprüchlichen Angaben bei einem Emp­fänger den Anschein erweckt, dass über steuerpflichtige Leistungen abgerech­net wird, so dass die Gefahr eines unberechtigten Steuerausweises nicht aus­geschlossen werden kann, ist eine Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG.

UStG § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5
UStG a.F. § 14c Abs. 2
MwStSystRL Art. 203
FGO § 126a

BFH-Beschluss vom 19.3.2025, XI R 4/22 (veröffentlicht am 14.8.2025)

Vorinstanz: FG Köln vom 19.10.2021, 8 K 1057/20 = SIS 22 03 59

A. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, führte für pharma­zeutische Unternehmen Beobachtungsstudien (Studien) durch.

In den Jahren 2014 bis 2016 (Streitjahre) war die Klägerin insoweit für die Auftraggeber … GmbH (F) und … GmbH (G) tätig. Die vertraglich festgelegten Aufgaben der Klägerin umfassten dabei Pro­jektkoordination, Datenmanagement, Honorarverwaltung und die Erstellung von Statusberichten sowie weitere Leistungen nach Absprache. Die Auftragge­ber schlossen daneben mit jedem an den Studien teilnehmenden Arzt einen sogenannten "Prüfarztvertrag" ab, wonach dem Arzt jeweils ein Honorar für seine Leistungen, insbesondere für dessen Dokumentationsaufwand, zustand. Die Klägerin, die mit den an den Studien teilnehmenden Ärzten selbst keine Verträge abgeschlossen hatte, zahlte im Rahmen der mit den Auftraggebern vereinbarten Honorarverwaltung die Honorare der Ärzte im Auftrag und Na­men der Auftraggeber an die Ärzte aus. Hierfür erteilte die Klägerin den Ärzten entsprechende Gutschriften mit Steuerausweis. Die für die Zahlung erforderli­chen Geldbeträge stellten F beziehungsweise G der Klägerin zur Verfügung.

In den Streitjahren übersandte die Klägerin ihren Auftraggebern im Rahmen der Honorarverwaltung sogenannte "Abforderungsschreiben" für Honorare, in denen sie jeweils unter Angabe einer fortlaufenden "Abforderungs-Nr.", einer "Angebots-Nr." der Klägerin, einer "Bestell-Nr." des jeweiligen Auftraggebers, einer Kurzbeschreibung des "Projekts" und eines "Lieferdatums" sowie offen ausgewiesener Umsatzsteuer zur Überweisung der abgeforderten Beträge auf ein von ihrem sonstigen Konto abweichendes "Honorarkonto" aufforderte. Hat­te die Klägerin höhere Beträge abgefordert als sie nach erfolgter Endabrech­nung mit den Ärzten zur Auszahlung an die Ärzte benötigt hatte, erstellte sie zum Abschluss der jeweiligen Studien eine "Storno-Abforderung" an ihre Auf­traggeber, in der sie von ihr zu viel abgeforderte Beträge als "Stornobetrag" auswies. Die Klägerin erfasste die von ihren Auftraggebern abgeforderten Geldbeträge als durchlaufende Posten.

Im Rahmen einer Außenprüfung gelangten die Prüfer zu der Auffassung, dass der in den "Abforderungsschreiben" vorgenommene Steuerausweis unberech­tigt erfolgt sei und die Klägerin die ausgewiesene Steuer gemäß § 14c Abs. 2 Satz 2 des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (UStG) schulde. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) schloss sich den Feststellungen der Prüfer an und erließ unter dem 17.01.2020 dementsprechende Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für die Streitjahre, in denen die Umsatzsteuer entsprechend höher festgesetzt wurde. Während des hiergegen gerichteten Einspruchsverfahrens setzte das FA aus nicht mehr streitigen Gründen die Umsatzsteuer für 2015 mit einem weiteren Umsatz­steuer-Änderungsbescheid herab und wies sodann die Einsprüche als unbe­gründet zurück.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit seinem in Entscheidungen der Fi­nanzgerichte 2022, 628 veröffentlichten Urteil als unbegründet ab. Die "Abfor­derungsschreiben" erfüllten die Voraussetzungen für Rechnungen im Sinne des § 14c UStG. Es könne dahinstehen, ob sich aus der Bezugnahme auf die Ange­bote der Klägerin und die Bestellungen der Auftraggeber, die nicht ersichtlich machten, auf welche konkreten Leistungen welcher Ärzte die "Abforderungs­schreiben" sich bezögen, eine im Sinne des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG hinreichen­de Leistungsbeschreibung entnehmen lasse. Jedenfalls durch den Aufbau, den Umsatzsteuerausweis und den Hinweis auf die ergänzenden Dokumente habe die abstrakte Gefahr bestanden, dass die Auftraggeber ‑‑wie es zumindest bei F auch der Fall gewesen sei‑‑ die "Abforderungsschreiben" für Zwecke des Vorsteuerabzugs nutzen könnten, zumal die Auftraggeber für die Leistungen, die die an den Studien teilnehmenden Ärzte erbracht haben, über keine ande­ren Abrechnungspapiere verfügt hätten, aus denen sie die Vorsteuerbeträge hätten geltend machen können. Für die Abforderung der an die Ärzte weiterzu­leitenden Honorare wäre die Angabe des insgesamt zu überweisenden Betrags ausreichend gewesen. Unmaßgeblich sei, ob die Auftraggeber tatsächlich Vor­steuerbeträge aus den "Abforderungsschreiben" geltend gemacht oder einen "doppelten Vorsteuerabzug" in Anspruch genommen haben. Die von der Klä­gerin mit den von ihr erteilten "Abforderungsschreiben" geschaffene abstrakte Gefahr des Vorsteuerabzugs reiche aus, eine Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG entstehen zu lassen.

Mit ihrer vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung mate­riellen Rechts. Ihren Auftraggebern stehe der Vorsteuerabzug zwar nicht aus den "Abforderungsschreiben", aber aus den Gutschriften, die sie den Ärzten in deren Namen und Auftrag für die im Rahmen der Studien erbrachten und be­zahlten Leistungen erteilt habe, materiell-rechtlich zu. Die Auftraggeber hätten den Vorsteuerabzug auch tatsächlich nur einmal im Ergebnis zutreffend gel­tend gemacht. Mit den "Abforderungsschreiben", bei denen es sich um keine Rechnungen gehandelt habe, sei sie, die Klägerin, lediglich ihren vertraglichen Pflichten nachgekommen, Dokumente des Zahlungsverkehrs gegenüber ihren Auftraggebern zu erstellen. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe bereits entschie­den, dass die Anforderungen an eine Leistungsbeschreibung gemäß § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG und die an eine Leistungsbeschreibung nach § 14c UStG identisch seien. Eine ausreichende Leistungsbeschreibung erfordere die Anga­be der Menge und der Art der gelieferten Gegenstände oder des Umfangs und der Art der sonstigen Leistungen. Tatsächliche Angaben zur Identifizierung der Leistung müssten eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der ab­gerechneten Leistung ermöglichen. Dies setze voraus, dass die Rechnung ent­weder selbst eine hinreichende Leistungsbeschreibung enthalte oder auf ande­re eindeutig gekennzeichnete Unterlagen Bezug nehme. Soweit dagegen in der Literatur vertreten werde, dass für die Anwendung des § 14c UStG auf das Element der "Leistungsbeschreibung" zu verzichten sei und auch Abrechnungs­papiere ohne Leistungsbeschreibung unter die Vorschrift fielen, sei dem nicht zu folgen. Diese Auffassung verkenne, dass Abrechnungspapiere keine Rech­nungen seien und eine Leistungsbeschreibung ein essenzielles und begriffsnot­wendiges Element einer Rechnung sei. An Leistungsbeschreibungen für die An­wendung des § 14c UStG dürften keine geringeren Anforderungen als nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG gestellt werden. Das FG habe aber gerade nicht festge­stellt, dass die "Abforderungsschreiben" Leistungsbeschreibungen enthielten, so dass es an einem wesentlichen Rechnungselement fehle. Selbst wenn für ei­ne Leistungsbeschreibung eine Bezugnahme auf andere vertragliche Unterla­gen genüge, ergebe sich im Streitfall, dass nicht eigene Leistungen der Kläge­rin, sondern Leistungen der Ärzte an die Auftraggeber in Bezug genommen worden seien, so dass sie, die Klägerin, mit den "Abforderungsschreiben" gera­de keine eigenen Leistungen gegenüber den Auftraggebern abgerechnet habe. Aus den möglicherweise in Bezug genommenen Unterlagen ergebe sich, dass es lediglich darum gegangen sei, die Auftraggeber darüber zu unterrichten, welche Ho­norarbeträge über die Klägerin an die Ärzte zu überweisen waren. Es sei wei­ter auch von der Finanzverwaltung (Abschn. 14.1. Abs. 1 Satz 4 des Umsatz­steuer-Anwendungserlasses) anerkannt, dass es Dokumente des Zahlungsver­kehrs gebe, die keine Rechnungen seien, selbst wenn sie einen gesonderten Steuerausweis enthielten. Zudem sei die gesonderte Nennung der Umsatz­steuer als bloße Information über die finanziell endgültige Belastung der Auf­traggeber in Höhe der Netto-Honorare sinnvoll gewesen. Die Abgrenzung zwi­schen einem bloßen Abrechnungspapier, das keine Rechnung sei, und einer Rechnung werde letztlich danach vorgenommen, ob das Papier der Abrech­nung einer Leistung diene, was bei den "Abforderungsschreiben" nicht der Fall gewesen sei. Vorliegend sei kein Abrechnungspapier geschaffen worden, das als "Rechnung" zu Unrecht den Vorsteuerabzug ermöglicht habe. Soweit der Empfänger eines Abrechnungspapiers, das nicht als Rechnung qualifiziert wer­den könne, dies zum Vorsteuerabzug nutze, schulde der Ersteller dieses Pa­piers, der kein Risiko gesetzt habe, keine Steuer nach § 14c Abs. 2 UStG. Die Klägerin bringt ferner vor, dass sie sich nicht auf das Berichtigungsverfahren verweisen lassen müsse, in dem mangels Rückwirkung ein Zinsnachteil drohe. Zudem sei eine Berichtigung ausgeschlossen, wenn eine Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs ausscheide, wie es hier für den Besteuerungszeitraum 2014 der Fall sei.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des FG sowie die Einspruchsentscheidung vom 27.04.2020 aufzuheben und die Umsatzsteuerbescheide vom 17.01.2020 für 2014 und 2016 sowie den Umsatzsteuerbescheid für 2015 vom 03.02.2020 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer für 2014 auf … €, für 2015 auf … € und für 2016 auf … € herabgesetzt wird.

Das FA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Ein Abrechnungsdokument könne in Fällen eines unberechtigten Steuerauswei­ses nach § 14c Abs. 2 UStG auch ohne Leistungsbeschreibung den Anschein erwecken, dass über eine Leistung abgerechnet werde, die zum Vorsteuerab­zug berechtige. An eine Leistungsbeschreibung dürften bei einem unberechtig­ten Steuerausweis keine allzu großen Anforderungen gestellt werden. Gegen­stand der Regelung sei die abstrakte Gefährdung des Steueraufkommens durch Abrechnungsdokumente, die elementare Merkmale einer Rechnung auf­wiesen oder ‑‑wie im Streitfall‑‑ den Schein einer solchen erweckten und den Empfänger zum Vorsteuerabzug verleiten würden, unabhängig von einem ma­teriell-rechtlichen Anspruch auf Vorsteuerabzug. Zudem genüge, dass die Klä­gerin als Ausstellerin an der Erstellung des Dokuments mitgewirkt habe.

B.I. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind davon unterrichtet wor­den und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Wechsel in der Richter­bank bei der Beschlussfassung gegenüber der Beratung steht der Anwendung des § 126a FGO nicht entgegen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15.09.2021 ‑ XI R 12/21 (XI R 25/19), BFHE 274, 317, BStBl II 2022, 417, Rz 21; vom 07.07.2022 ‑ V R 10/20, BFHE 276, 445, Rz 9; vom 18.10.2023 ‑ XI R 22/20, BFH/NV 2024, 182, Rz 18).

II. Die Entscheidung des FG, wonach die streitgegenständlichen "Abforde­rungsschreiben" die Voraussetzungen für Rechnungen im Sinne des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG erfüllen und die Klägerin die dort unberechtigt gesondert ausgewiesenen Steuerbeträge nach § 14c Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 UStG schuldet, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

1. Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steu­erausweis), schuldet gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Be­trag. Das Gleiche gilt nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert aus­weist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leis­tung nicht ausführt. Unionsrechtlich beruht dies auf Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteu­ersystem (MwStSystRL). Die Mehrwertsteuer wird danach von jeder Person geschuldet, die diese Steuer in einer Rechnung ausweist.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des BFH soll Art. 203 MwStSystRL der Gefährdung des Steuerauf­kommens entgegenwirken, die sich unter anderem aus dem Recht auf Vor­steuerabzug ergeben könnte (vgl. zusammenfassend BFH-Beschluss vom 23.08.2023 ‑ XI R 10/20, BFHE 282, 113, BStBl II 2024, 302, Rz 102 ff.; EuGH-Urteile Schmeink & Cofreth und Strobel vom 19.09.2000 ‑ C‑454/98, EU:C:2000:469, Rz 57 und 61; Karageorgou u.a. vom 06.11.2003 ‑ C‑78/02 bis C 80/02, EU:C:2003:604, Rz 50 und 53; Stadeco vom 18.06.2009 ‑ C‑566/07, EU:C:2009:380, Rz 28; Stroy trans vom 31.01.2013 ‑ C‑642/11, EU:C:2013:54, Rz 32; LVK ‑ 56 vom 31.01.2013 ‑ C‑643/11, EU:C:2013:55, Rz 36; Rusedespred vom 11.04.2013 ‑ C‑138/12, EU:C:2013:233, Rz 23 f.; Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestell­te Mehrwertsteuer) vom 08.12.2022 ‑ C‑378/21, EU:C:2022:968, Rz 20; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Betrug eines Mitarbeiters) vom 30.01.2024 ‑ C‑442/22, EU:C:2024:100, Rz 24). Der Aussteller einer Rechnung, in der ein Mehrwertsteuerbetrag ausgewiesen ist, schuldet diesen Betrag unabhängig von einem Verschulden, wenn eine Gefährdung des Steu­eraufkommens vorliegt (EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Betrug eines Mitarbeiters) vom 30.01.2024 ‑ C‑442/22, EU:C:2024:100, Rz 25).

b) Folglich kommt Art. 203 MwStSystRL zur Anwendung, wenn die Mehrwert­steuer zu Unrecht in Rechnung gestellt wurde und eine Gefährdung des Steu­eraufkommens vorliegt, weil der Adressat der in Rede stehenden Rechnung sein Recht auf Vorsteuerabzug geltend machen kann (vgl. EuGH-Urteile Fi­nanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) vom 08.12.2022 ‑ C‑378/21, EU:C:2022:968, Rz 21; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Betrug eines Mitarbeiters) vom 30.01.2024 ‑ C‑442/22, EU:C:2024:100, Rz 24). Die Gefährdung des Steueraufkommens ist nicht vollständig beseitigt, solange der Adressat einer Rechnung, in der die Mehrwertsteuer zu Unrecht ausgewiesen ist, diese noch dazu nutzen kann, das Recht zum Vorsteuerabzug auszuüben (vgl. EuGH-Ur­teil Stadeco vom 18.06.2009 ‑ C‑566/07, EU:C:2009:380, Rz 29). Ist dagegen eine solche Gefährdung ausgeschlossen, findet Art. 203 MwStSystRL keine An­wendung (vgl. EuGH-Urteile Finanzamt Österreich (Endverbrauchern fälschli­cherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) vom 08.12.2022 ‑ C‑378/21, EU:C:2022:968, Rz 24; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Betrug eines Mitarbeiters) vom 30.01.2024 ‑ C‑442/22, EU:C:2024:100, Rz 25).

c) Der im Sinne des § 14c Abs. 1 UStG unrichtige und der im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG unberechtigte Steu­erausweis setzen nicht voraus, dass die Rech­nung alle in § 14 Abs. 4 UStG aufgezählten Pflichtangaben aufweist (BFH-Ur­teile vom 17.02.2011 ‑ V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734, Leit­satz 1 und Rz 19; vom 14.02.2019 ‑ V R 68/17, BFHE 265, 1, BStBl II 2020, 65, Rz 14; vom 21.09.2016 ‑ XI R 4/15, BFHE 255, 340, BStBl II 2021, 106, Rz 26 und 27; vom 17.08.2023 ‑ V R 3/21, BFHE 282, 101, Rz 24). Die Anfor­derungen an einen unberechtigten Steuerausweis erfüllt eine Rechnung jeden­falls bereits dann, wenn sie den Rechnungsaussteller, den (vermeintlichen) Leistungsempfänger, eine Leistungsbeschreibung sowie das Entgelt und Anga­ben zur gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer enthält (vgl. BFH-Urteile vom 17.02.2011 ‑ V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734, Rz 25; vom 19.11.2014 ‑ V R 29/14, BFH/NV 2015, 706, Rz 16; vom 21.09.2016 ‑ XI R 4/15, BFHE 255, BFHE 255, 340, BStBl II 2021, 106, Rz 27).

aa) Soweit im Streitfall zwischen den Beteiligten streitig ist, ob die "Abforde­rungsschreiben" eine Leistungsbeschreibung enthalten, hat der BFH bereits entschieden, dass ‑‑wie bei der Prüfung, ob eine Rechnung hinreichende An­gaben enthält, die zum Vorsteuerabzug berechtigen‑‑ auch im Anwendungsbe­reich des § 14c UStG Bezugnahmen in der Rechnung auf andere Dokumente zu berücksichtigen sind (BFH-Urteile vom 26.06.2019 ‑ XI R 5/18, BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521, Rz 27 und vom 16.03.2017 ‑ V R 27/16, BFHE 257, 462, Rz 12).

bb) Eine Berücksichtigung derartiger Bezugnahmen ist auch unionsrechtlich geboten. Kann der tatsächliche Inhalt einer Rechnung durch Bezugnahmen geklärt und die Gefahr eines unberechtigten Steuerausweises ausgeschlossen werden, entfällt die missbilligte Gefährdung des Steueraufkommens. Unions­rechtlich ist zudem zu berücksichtigen, dass sich die Steuerverwaltung nach dem EuGH-Urteil Barlis 06 vom 15.09.2016 ‑ C‑516/14, EU:C:2016:690, Rz 44 nicht auf die Prüfung der Rechnung selbst beschränken darf, sondern auch die vom Steuerpflichtigen beigebrachten zusätzlichen Informationen zu berücksichtigen hat (BFH-Urteile vom 16.03.2017 ‑ V R 27/16, BFHE 257, 462, Rz 13; vom 26.06.2019 ‑ XI R 5/18, BFHE 266, 67, BStBl II 2023, 521, Rz 28).

cc) Falls das FG dahin gehend verstanden werden sollte, dass das FA ergän­zende Unterlagen gar nicht oder nur im Wege der oberflächlichen Betrachtung berücksichtigen müsse, könnte der Senat dieser Auffassung nicht folgen. Ist eine Gefährdung des Steueraufkommens ausgeschlossen, findet Art. 203 MwStSystRL keine Anwendung (vgl. EuGH-Urteile Finanzamt Österreich (End­verbrauchern fälschlicherweise in Rechnung gestellte Mehrwertsteuer) vom 08.12.2022 ‑ C‑378/21, EU:C:2022:968, Rz 24; Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Betrug eines Mitarbeiters) vom 30.01.2024 ‑ C‑442/22, EU:C:2024:100, Rz 25; s.a. EuGH-Urteile Schmeink & Cofreth und Strobel vom 19.09.2000 ‑ C‑454/98, EU:C:2000:469, Rz 58; GST-Sarviz Germania vom 23.04.2015 ‑ C‑111/14, EU:C:2015:267, Rz 33, 36 und 39; EN.SA. vom 08.05.2019 ‑ C 712/17, EU:C:2019:374, Rz 34 und 35; BFH-Urteil vom 16.03.2017 ‑ V R 27/16, BFHE 257, 462, Rz 13). Die bloß theoretische Gefahr, dass aus einem Dokument, das nicht die Anforderungen an eine Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG erfüllt, bei nur oberflächlicher Betrachtung des Dokuments der Vorsteuerabzug geltend gemacht werden könnte, genügt für sich genommen nicht, wenn nicht die Tatbestandsmerkmale des § 14c Abs. 2 UStG erfüllt sind. Die mit § 14c Abs. 2 UStG verbundene Gefährdungshaftung kommt nur dann zum Tragen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vorliegen.

2. Danach hat das FG in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise ent­schieden, dass nach den Verhältnissen des Streitfalls die "Abforderungsschrei­ben" die Voraussetzungen einer Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG er­füllten.

a) Zutreffend hat das FG festgestellt, dass die "Abforderungsschreiben", die die Klägerin unter ihrem im geschäftlichen Verkehr verwendeten Briefkopf an ihre Auftraggeber erstellt hat, selbst keine Leistungsbeschreibung enthielten.

b) Die "Abforderungsschreiben" nahmen jedoch Bezug auf andere Unterlagen. Sie enthielten im Betreff eine fortlaufende "Abforderungs-Nr.", eine "Angebots-Nr." der Klägerin, eine "Bestell-Nr." des jeweiligen Auftraggebers, eine Kurzbe­schreibung des "Projekts" und ein "Lieferdatum".

aa) Aus den in Bezug genommenen Unterlagen ergibt sich, dass die Klägerin im Hinblick auf die Auszahlung der Honorare der Ärzte "als Zahlstelle" im Na­men und im Auftrag ihrer Auftraggeber im Rahmen der mit ihren Auftragge­bern vereinbarten Honorarverwaltung fungieren sollte. Weiter ergibt sich aus den in Bezug genommenen Unterlagen, dass die Honorare an die Ärzte für de­ren Dokumentationsleistungen gezahlt werden sollten, die die Ärzte aufgrund einer gesonderten Vereinbarung mit den Auftraggebern der Klägerin zu erbrin­gen hatten. Danach forderte die Klägerin mit den "Abforderungsschreiben" Ho­norare an, um ‑‑wie auch aus den vom FG in Bezug genommen "Prüfarztver­trägen" ersichtlich‑‑ die Leistungen der Ärzte im Namen und im Auftrag der Auftraggeber im Gutschriftswege abzurechnen. Eine Gefährdung des Steuer­aufkommens wäre dadurch an sich nicht zu besorgen (gewesen).

bb) Allerdings kann nach den Verhältnissen des Streitfalls eine Gefährdung des Steueraufkommens nicht verneint werden, weil es die Klägerin dabei nicht be­lassen, sondern trotz dieser Gegebenheiten Umsatzsteuer offen ausgewiesen hat. Diese Angabe war, worauf das FG in Rz 52 der Vorentscheidung vom 19.10.2021 ‑ 8 K 1057/20 abgestellt hat, für ein Zahlungspapier überflüssig und in sich widersprüchlich. Die Klägerin ist danach ‑‑entgegen ihrem Revisi­onsvorbringen‑‑ mit den "Abforderungsschreiben", die sie selbst gestaltet, for­muliert und um einen Steuerausweis ergänzt hat, nicht lediglich ihren vertrag­lichen Pflichten nachgekommen, Dokumente des Zahlungsverkehrs gegenüber ihren Auftraggebern zu erstellen. Ebenso wenig trifft es zu, dass es sich um ein nicht von der Klägerin gesetztes Risiko handele. Mit dem überflüssigen Steuerausweis und den damit verbundenen widersprüchlichen Angaben hat die Klägerin das Risiko gesetzt. Zumindest bei einem Teil der Empfänger der "Ho­norarabforderungen" hat sich dieses Risiko auch realisiert, indem die Klägerin bei ihnen im Ergebnis die Fehlvorstellung hervorgerufen hat, dass mit den "Abforderungsschreiben" über steuerpflichtige Leistungen der Ärzte im Rah­men der durchgeführten Studien abgerechnet werde, so dass bereits mit den "Honorarabforderungen" ein Recht auf Vorsteuerabzug ausgeübt werden kön­ne und die Erteilung der Gutschriften durch die Klägerin nicht abgewartet wer­den müsse. Dieser Teil der Empfänger der "Abforderungsschreiben" hat den Vorsteuerabzug beansprucht, obwohl sie sämtliche ergänzenden Unterlagen, aus denen etwas anderes hätte abgeleitet werden können, kannten. Sie haben nicht die Erteilung der Gutschriften an die Ärzte abgewartet, mit denen sie ihr Recht auf Vorsteuerabzug (einzeln für jede Gutschrift) hätten ausüben kön­nen.

Danach kann in einer Situation wie im Streitfall, in der der Empfänger eines in sich widersprüchlichen Dokuments mit überflüssigen Angaben ‑‑trotz genauer Kenntnis der ergänzenden Unterlagen‑‑ das Dokument als Rechnung versteht und deshalb mit dem Dokument objektiv zu Unrecht den Vorsteuerabzug gel­tend macht, weder davon gesprochen werden, dass aufgrund der ergänzenden Unterlagen feststeht, dass keine Rechnung vorliegt, noch davon, dass nicht die Gefahr besteht, dass mit dem Papier ein nicht bestehendes Recht auf Vorsteu­erabzug geltend gemacht wird.

cc) Auch die von der Klägerin in den "Abforderungsschreiben" formulierte Bit­te, die Gesamtsumme, also das Entgelt nebst gesondert ausgewiesener Um­satzsteuer, auf ein von ihrem sonstigen Konto abweichendes "Honorarkonto" zu überweisen, schließt die Annahme einer Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG nicht aus. Als Rechnung im Sinne des § 14c Abs. 2 UStG kommt jedes Dokument in Betracht, mit dem über eine vorgebliche Lieferung oder sonstige Leistung abgerechnet wird, gleichgültig wie dieses Dokument im Ge­schäftsverkehr bezeichnet ist.

3. Steuerschuldner der nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldeten Steuer ist die Klägerin, wovon das FG auch ausgegangen ist. Steuerschuldner in den Fällen des § 14c Abs. 2 UStG ist nach § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG der Aussteller der Rechnung. Dies ist vorliegend die Klägerin, da sie auf ihrem Geschäftspapier die "Abforderungsschreiben" erstellt hat. Es kommt nicht in Betracht, die Ärzte als Steuerschuldner im Sinne des § 13a Abs. 1 Nr. 4 UStG anzusehen. Sie ha­ben weder an der Erstellung der "Abforderungsschreiben" mitgewirkt noch sonst auf deren Erstellung hingewirkt. Sie konnten vielmehr davon ausgehen, dass die Klägerin (nur) mit den ihnen gegenüber erteilten Gutschriften für sie abrechnete. Dass die Ärzte gegen irgendwelche ihnen obliegenden Sorgfalts­pflichten verstoßen hätten, ist im vorliegenden Zusammenhang nicht feststell­bar (vgl. hierzu etwa EuGH-Urteil Dyrektor Izby Administracji Skarbowej w Lublinie (Betrug eines Mitarbeiters) vom 30.01.2024 ‑ C‑442/22, EU:C:2024:100).

4. Die Einwendung der Klägerin, die Gefährdung des Steueraufkommens sei beseitigt, greift im vorliegenden Verfahren nicht durch; denn die Berichtigung eines nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG geschuldeten Steuerbetrags ist nach Maßgabe des § 14c Abs. 2 Satz 3 bis 5 UStG möglich und die Klägerin hat eine solche Berichtigung gemäß § 14c Abs. 2 Satz 5 UStG beim FA beantragt. Der Antrag ist für den als zutreffend erachteten Berichtigungszeitraum als Antrag auf Änderung der betreffenden Steuerfestsetzung auszulegen (vgl. BFH-Be­schluss vom 27.07.2021 ‑ V R 43/19, BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237, Rz 36). Ein Änderungsantrag ist neben einem laufenden Klageverfahren mög­lich (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 27.02.2003 ‑ V R 87/01, BFHE 201, 416, BStBl II 2003, 505). Über den Änderungsantrag ist daher im (derzeit ruhen­den) Berichtigungsverfahren zu entscheiden, ohne dass der Senat zu einer Aussetzung des Revisionsverfahrens gemäß § 74 FGO verpflichtet wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 27.07.2021 ‑ V R 43/19, BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237, Rz 28). Die Berichtigung wirkt zu dem Zeitpunkt, zu dem eine gegebe­nenfalls bestehende Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27.07.2021 ‑ V R 43/19, BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237, Rz 18 ff.; vom 26.08.2021 ‑ V R 38/20, BFH/NV 2022, 146, Rz 17 f.). Das FA kann seine Zustimmung durch eigenständigen Verwaltungsakt oder durch Erlass eines Änderungsbescheids erklären (vgl. BFH-Beschluss vom 27.07.2021 ‑ V R 43/19, BFHE 274, 175, BStBl II 2024, 237, Rz 36).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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