Der Zustellpunkt (Zustellzentrum), dem ein Postzusteller zugeordnet ist und an dem er arbeitstäglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten (z.B. Sortiertätigkeiten, Abschreibpost, Abrechnungen) ausübt, ist erste Tätigkeitsstätte.
EStG § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a, § 9 Abs. 4, § 9 Abs. 4a
Vorinstanz: FG Nürnberg vom 3.5.2018, 6 K 1033/17 = SIS 19 13 02
I. Streitig ist, ob bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit Mehraufwendungen für Verpflegung als Werbungskosten zu berücksichtigen sind.
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind verheiratet und wurden für die Streitjahre (2015 und 2016) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Sie erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, der Kläger als verbeamteter Postzusteller.
Der Kläger ist seit 1977 bei der Deutschen Post beschäftigt. Seit Anfang der 1990iger Jahre ist er als Postzusteller in R und dort seit vielen Jahren am Zustellpunkt ... (Zustellpunkt R) tätig.
Der gewöhnliche Arbeitstag eines Zustellers am Zustellpunkt R sieht wie folgt aus: Die Kompaktbriefe kommen morgens vorsortiert aus dem Briefzentrum Q und werden so von den Zustellern zum Austragen übernommen. Großbriefe, Kataloge, Zeitschriften und Tageszeitungen kommen unsortiert. Sie werden ebenso wie die unsortierten Kompaktbriefe, die z.B. die Maschine nicht lesen konnte oder fehlgeleitet waren, von einem Teil der Zusteller des Zustellpunkts gemeinsam auf die einzelnen Zustellbezirke sortiert. Die Pakete kommen unsortiert auf Rollwägen aus dem Frachtzentrum S und werden von den übrigen Zustellern gemeinsam auf die Bezirke verteilt. Diese Verteilung sowohl der Briefe als auch der Pakete erfolgt nur grob auf die Bezirke. Im Anschluss steckt jeder Zusteller seine eigene auszutragende Post für die Runde auf Gangfolge. Der Kläger selbst hat nur einen Handwagen für Briefe, Pakete stellt er nicht zu. Im Anschluss daran macht der Zusteller seine Runde. Nach der Zustellrunde bearbeitet der jeweilige Zusteller die sogenannte Abschreibpost (Post, bei der der Adressat unbekannt, unbekannt verzogen oder verzogen ist) und Abrechnungen (z.B. für Nachnahmen, Nachentgelte oder Zollgebühren).
Die Vorarbeiten dauern zwei bis zweieinhalb Stunden, die Nacharbeiten circa 20 bis 30 Minuten.
In den Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre begehrten die Kläger u.a. den Abzug von Verpflegungsmehraufwendungen bei Auswärtstätigkeit des Klägers mit einer Abwesenheit von mindestens acht Stunden für 144 Tage (2015) und für 133 Tage (2016). Der Zustellbezirk sei als weiträumiges Tätigkeitsgebiet und nicht als erste Tätigkeitsstätte anzusehen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte die geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht, sondern setzte in beiden Einkommensteuerbescheiden lediglich den Arbeitnehmer-Pauschbetrag in Höhe von 1.000 € anstelle der unstreitigen Werbungskosten des Klägers in Höhe von 646 € im Jahr 2015 und in Höhe von 638 € im Jahr 2016 an.
Gegen die Einkommensteuerfestsetzungen der Streitjahre legten die Kläger erfolglos Einspruch ein.
Das Finanzgericht (FG) wies die daraufhin erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1576 veröffentlichten Gründen ab.
Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
Sie beantragen,
das Urteil des FG Nürnberg vom 03.05.2018 - 6 K 1033/17 und die Einspruchsentscheidungen wegen Einkommensteuer 2015 und 2016 jeweils vom 11.07.2017 aufzuheben sowie den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 19.05.2016 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere 1.374 € als Werbungskosten berücksichtigt werden, und den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 19.06.2017 dahingehend zu ändern, dass bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit weitere 1.234 € als Werbungskosten berücksichtigt werden.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger in den Streitjahren am Zustellpunkt R seine erste Tätigkeitsstätte hatte. Es hat deshalb zu Recht die vom Kläger geltend gemachten Verpflegungsmehraufwendungen nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen.
1. Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist gemäß § 9 Abs. 4a Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale nach Maßgabe des Satzes 3 anzusetzen.
2. Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20.02.2013 (BGBl I 2013, 285) neu eingeführte und in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG definierte Begriff der "ersten Tätigkeitsstätte" tritt an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der "regelmäßigen Arbeitsstätte".
a) Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden (z.B. Senatsurteil vom 04.04.2019 - VI R 27/17, BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 13, m.w.N.).
b) Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt. Einer gesonderten Zuordnung für einkommensteuerliche Zwecke bedarf es nicht (Senatsurteil vom 11.04.2019 - VI R 40/16, BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546, Rz 35).
c) Die arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers als solche muss für ihre steuerliche Wirksamkeit nicht dokumentiert werden. Eine Dokumentationspflicht ist § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht zu entnehmen. Die Feststellung einer entsprechenden Zuordnung ist vielmehr durch alle nach der FGO zugelassenen Beweismittel möglich und durch das FG im Rahmen einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen. So entspricht es regelmäßig der Lebenswirklichkeit, dass der Arbeitnehmer der betrieblichen Einrichtung des Arbeitgebers zugeordnet ist, in der er tatsächlich tätig ist oder werden soll (z.B. Senatsurteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 17).
d) Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (Senatsurteile in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 18 f., und in BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546, Rz 25 f.).
e) Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
aa) Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 1. Alternative EStG, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt (Senatsurteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 21).
bb) Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 2. Alternative EStG für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt (Senatsurteil in BFHE 264, 271, BStBl II 2019, 536, Rz 22).
3. Nach diesen Maßstäben ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass der Zustellpunkt R in den Streitjahren die erste Tätigkeitsstätte des Klägers war.
a) Bei dem Zustellpunkt R handelt es sich um eine ortsfeste betriebliche Einrichtung des Dienstherrn des Klägers. Dies steht zwischen den Beteiligten auch nicht im Streit. Der Senat sieht deshalb insoweit von weiteren Ausführungen ab.
b) Entgegen der Ansicht des Klägers ist er dem Zustellpunkt R dauerhaft zugeordnet.
aa) Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) geht der Einsatz des Klägers dort auf eine Versetzung zurück. Diese wirkt auch jenseits des 31.12.2013 fort, so dass es keiner erneuten und insbesondere einkommensteuerrechtlichen Festlegung einer ersten Tätigkeitsstätte i.S. von § 9 Abs. 4 EStG bedurfte. Vielmehr nimmt das neue --zum 01.01.2014 in Kraft getretene-- steuerliche Reisekostenrecht die vorgefundenen arbeits- und dienstrechtlichen Festlegungen des Arbeitgebers auf.
bb) Diese Zuordnung erfolgte auch unbefristet. Denn die Zuordnung (Versetzung) an den Zustellpunkt R war weder kalendermäßig bestimmt noch ergab sich aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung eine Befristung. Vielmehr ist der Kläger dort auch nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und den Senat deshalb bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) über viele Jahre hinweg tätig geworden. Auch führt die (jederzeitige) Möglichkeit einer Versetzung an einen anderen Zustellpunkt als solche noch nicht zu einer lediglich befristeten Zuordnung (Senatsurteil in BFHE 264, 248, BStBl II 2019, 546, Rz 34).
c) Schließlich ist der Kläger am Zustellpunkt R auch in dem erforderlichen Umfang tätig geworden. Als Postzusteller hatte er nach den bindenden Feststellungen des FG im Zustellpunkt R arbeitstäglich Tätigkeiten auszuführen, die ebenso zum Berufsbild eines Postzustellers gehören wie das Zustellen der Briefe an die Kunden der Deutschen Post im Zustellbezirk (z.B. Übernahme und erforderlichenfalls Vorsortierung der Kompaktbriefe, Vorsortierung von Großbriefen, Katalogen, Zeitschriften und Tageszeitungen, Vorbereitung des Handwagens für die Zustellrunde sowie Nacharbeiten nach der Zustellrunde, z.B. Abschreibpost und Abrechnungen). Das FG hat zutreffend darauf abgestellt, dass diese Tätigkeiten im Zustellpunkt R als ortsfester betrieblicher Einrichtung Teil der Berufstätigkeit eines Postzustellers sind.
4. Ein Ansatz der begehrten Mehraufwendungen für Verpflegung kommt daher nicht in Betracht. Der Kläger war nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) an den geltend gemachten Tagen nicht --wie § 9 Abs. 4a Sätze 2 und 3 Nr. 3 EStG voraussetzen-- mehr als acht Stunden von seiner Wohnung und dem Zustellpunkt R als erster Tätigkeitsstätte abwesend. Eine Abwesenheit von mehr als acht Stunden nur von der Wohnung reicht nach dem Gesetzeswortlaut nicht aus.
5. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob ein Zustellbezirk ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG ist, stellt sich im Streitfall damit nicht. Denn einer Antwort auf diese Frage bedarf es nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 1 EStG nur, wenn der Steuerpflichtige --anders als der Kläger im Streitfall-- über keine erste Tätigkeitsstätte verfügt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Gesetzgeber im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts (BTDrucks 17/10774, 13) und das Bundesministerium der Finanzen --BMF-- (Schreiben vom 24.10.2014 - IV C 5-S 2353/14/10002, BStBl I 2014, 1412, Rz 41) beispielhaft davon ausgehen, dass § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4a Satz 3 EStG u.a. auf (Brief-/Post-)Zusteller anwendbar sein soll. Dass diese Berufsgruppe uneingeschränkt dem Anwendungsbereich der Norm unterfällt, lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen. Bei der beispielhaften Erwähnung des (Brief-/Post-)Zustellers dürften der Gesetzgeber und das BMF vielmehr von einem anderen als dem im Streitfall bindend festgestellten Tätigkeitsbild eines Postzustellers ausgegangen sein.
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
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