BVerfG: Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern im Grunderwerbsteuerrecht verfassungswidrig
Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - 8. August 2012,   Pressemitteilung Nr. 62/2012
 Beschluss vom 18. Juli 2012, 1 BvL 16/11
Mit dem am 14. Dezember 2010 in Kraft getretenen Jahressteuergesetz 2010  hat der Gesetzgeber die eingetragenen Lebenspartner den Ehegatten  hinsichtlich sämtlicher für sie geltenden grunderwerbsteuerlichen  Befreiungen gleichgestellt. Diese Neufassung des  Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) gilt jedoch nicht rückwirkend,  sondern ist auf Erwerbsvorgänge nach dem 13. Dezember 2010 beschränkt.  Für alle noch nicht bestandskräftigen Altfälle ab Inkrafttreten des  Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1. August 2001 gelten daher weiterhin  die Bestimmungen des Grunderwerbsteuergesetzes in der Fassung von 1997  (GrEStG a. F.), das für eingetragene Lebenspartner - anders als für  Ehegatten - keine Ausnahme von der Besteuerung des Grunderwerbs  vorsieht. Nach der für das Ausgangsverfahren maßgebenden Regelung des §  3 Nr. 4 GrEStG a. F. ist der Grundstückserwerb durch den Ehegatten des  Veräußerers von der Grunderwerbsteuer befreit. Von der Besteuerung  ausgenommen ist auch der Grundstückserwerb im Rahmen der  Vermögensauseinandersetzung nach der Scheidung durch den früheren  Ehegatten des Veräußerers (§ 3 Nr. 5 GrEStG a. F.). Ferner sieht § 3  GrEStG a. F. - vorwiegend aus güterrechtlichen Gründen - weitere  Befreiungsvorschriften für Ehegatten vor. 
 
Die Kläger des Ausgangsverfahrens sind eingetragene Lebenspartner und  schlossen im Rahmen ihrer Trennung im Jahre 2009 eine  Auseinandersetzungsvereinbarung, mit der sie sich wechselseitig ihre  Miteigentumsanteile an zwei jeweils zur Hälfte in ihrem Eigentum  stehenden Immobilien zum Zwecke des jeweiligen Alleineigentums  übertrugen. Ihre gegen die jeweils festgesetzte Grunderwerbsteuer  gerichteten Klagen führten zur Vorlage durch das Finanzgericht, das die  Vorschrift des § 3 Nr. 4 GrEStG a. F. wegen Verstoßes gegen den  allgemeinen Gleichheitssatz für verfassungswidrig hält. Der Erste Senat  des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass § 3 Nr. 4 GrEStG a.  F. sowie auch die übrigen Befreiungsvorschriften des § 3 GrEStG a. F.  mit dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar  sind, soweit sie eingetragene Lebenspartner nicht wie Ehegatten von der  Grunderwerbsteuer befreien. Der Gesetzgeber hat bis zum 31. Dezember  2012 eine Neuregelung für die Altfälle zu treffen, die die  Gleichheitsverstöße rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Einführung des  Instituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft zum 1. August 2001 bis  zum Inkrafttreten des Jahressteuergesetzes 2010 beseitigt.
 
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:
 
1. Die Ungleichbehandlung von Ehegatten und eingetragenen Lebenspartnern  hinsichtlich der Befreiung von der Grunderwerbsteuer muss sich - neben  den spezifisch steuerrechtlichen Ausprägungen des Gleichheitssatzes - an  strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen messen lassen, weil die  Differenzierung an die sexuelle Orientierung von Personen anknüpft.  Hinreichend gewichtige Unterschiede, welche die Schlechterstellung der  Lebenspartner im Grunderwerbsteuergesetz in der Fassung von 1997  rechtfertigen könnten, bestehen nicht.
 
Die Privilegierung der Ehegatten gegenüber den Lebenspartnern lässt sich  nicht unter familien und erbrechtlichen Gesichtspunkten rechtfertigen.  Eingetragene Lebenspartner sind Ehegatten familien- und erbrechtlich  gleichgestellt sowie persönlich und wirtschaftlich in gleicher Weise in  einer auf Dauer angelegten, rechtlich verfestigten Partnerschaft  miteinander verbunden. Die der Steuerbefreiung zugrundeliegende  gesetzgeberische Vermutung, dass Grundstücksübertragungen zwischen  Ehegatten wie bei den ebenfalls steuerbefreiten nahen Verwandten häufig  zur Regelung familienrechtlicher Ansprüche der Ehegatten untereinander  oder in Vorwegnahme eines Erbfalls erfolgen, gilt daher ebenso für  eingetragene Lebenspartner. Des Weiteren begründet die eingetragene  Lebenspartnerschaft ebenso wie die Ehe eine gegenseitige Unterhalts- und  Einstandspflicht, so dass die Ungleichbehandlung auch nicht mit einem  aus besonderen rechtlichen Bindungen gespeisten Familienprinzip zu  rechtfertigen ist.
 
Schließlich kann die Schlechterstellung der Lebenspartner gegenüber den  Ehegatten auch nicht mit der in der Art. 6 Abs. 1 GG verankerten Pflicht  des Staates, Ehe und Familie zu schützen und zu fördern, gerechtfertigt  werden. Geht die Förderung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer  Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten  Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zielen der Ehe  vergleichbar sind, rechtfertigt die bloße Verweisung auf das Schutzgebot  der Ehe eine solche Differenzierung nicht.
 
2. Es besteht keine Veranlassung, den Gesetzgeber von der Pflicht zur  rückwirkenden Beseitigung der verfassungswidrigen Rechtslage zu  entbinden. Insbesondere ist die Weitergeltung der für verfassungswidrig  erklärten Befreiungsvorschriften nicht wegen einer zuvor nicht  hinreichend geklärten Verfassungsrechtslage anzuordnen. Eine solche, von  der grundsätzlichen Rückwirkung sowohl einer Nichtigkeits- als auch  Unvereinbarkeitserklärung abweichende Anordnung kommt nur im  Ausnahmefall in Betracht und bedarf einer besonderen Rechtfertigung.  Allein die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts, dass ein Gesetz  gegen Bestimmungen des Grundgesetzes verstößt, vermag indessen nicht  ohne weiteres eine in diesem Sinne zuvor ungeklärte  Verfassungsrechtslage zu indizieren und damit den Gesetzgeber von einer  Pflicht zur rückwirkenden Behebung verfassungswidriger Zustände zu  befreien.
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