BFH: Zumindest Gewährung von Wiedereinsetzung bei Klageerhebung per Telefax vor Zugang des Erstregistrierungsbriefs für das besondere elektronische Steuerberaterpostfach
- Wenn ein Steuerberater in der Übergangszeit zwischen der erstmaligen Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (01.01.2023) und dem späteren tatsächlichen Erhalt des für ihn bestimmten Erstregistrierungsbriefs eine Klage noch per Telefax erhebt, weil er entsprechend dem Inhalt der Verlautbarungen der Steuerberaterkammern davon ausgeht, dass eine Nutzungspflicht erst nach Zugang des Erstregistrierungsbriefs besteht, kann eine solche Klage jedenfalls unter den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung zulässig sein (Anschluss an den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 23.06.2025 ‑ 1 BvR 1718/24, DStR 2025, 1698).
- Der Senat verfolgt seine Auffassung, die Steuerberaterplattform- und ‑postfachverordnung sei unwirksam, weil sie erlassen und verkündet worden ist, bevor die parlamentsgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erstmals anzuwenden war (vgl. Senatsbeschluss vom 17.04.2024 ‑ X B 68, 69/23, BFHE 284, 237, Rz 19 ff.), nicht weiter.
FGO § 52d Satz 2, § 56
StBerG § 85 Abs. 2, § 86d
StBPPV § 15
GG Art. 19 Abs. 4
BFH-Urteil vom 6.8.2025, X R 13/23 (veröffentlicht am 4.9.2025)
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 18.4.2023 – 9 K 138/23 (EFG 2023, 1560)
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) begehrte im Klageverfahren zuletzt noch einen Investitionsabzugsbetrag für einen zu eröffnenden Gewerbebetrieb "Erzeugung elektrischer Energie aus Photovoltaikanlagen". Seine damalige Prozessbevollmächtigte (P), eine Steuerberatungs-GmbH, erhob am 18.01.2023 per Telefax Klage gegen die vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt ‑‑FA‑‑) am 14.12.2022 (Mittwoch) zur Post gegebene Einspruchsentscheidung.
Das Finanzgericht (FG) wies den Kläger mit Schreiben vom 20.01.2023 darauf hin, dass die Klageerhebung wegen Nichtbeachtung der Anforderungen des § 52d der Finanzgerichtsordnung (FGO) unwirksam sei. Der Bundesfinanzhof (BFH) gehe von einer aktiven Nutzungspflicht ab dem 15.01.2023 aus. Dieser Termin beruhe darauf, dass Steuerberater am vorgezogenen Registrierungsverfahren ("Fast Lane") teilnehmen sollten. Sie würden "ab" dem 05.01.2023 die Registrierungsbriefe erhalten und seien dann zur unverzüglichen Registrierung verpflichtet. Dies ergebe unter Zugrundelegung der dreitägigen Zugangsfiktion eine Nutzungspflicht zum 15.01.2023.
Der Kläger legte daraufhin am 31.01.2023 die "Kammermitteilungen 4/2022" der für P zuständigen Steuerberaterkammer Stuttgart vom 10.11.2022 vor. Darin heißt es: "Die Bundessteuerberaterkammer macht darauf aufmerksam, dass die Berufsträger/innen erst mit Erhalt des Registrierungsbriefes der Bundessteuerberaterkammer dazu verpflichtet sind, ihr beSt zu nutzen. Diese Briefe werden ab Januar 2023 in einzelnen Tranchen verschickt. Laut aktueller Planungen sind bis April 2023 alle Berufsträger/innen angeschrieben."
Aus den Ermittlungen des FG und dem unwidersprochenen Vorbringen des Klägers ergibt sich, dass P am 20.01.2023 die vorgezogene Registrierung bei der zuständigen Steuerberaterkammer beantragt hatte. Die Kammer nahm die Anmeldung am 26.01.2023 vor. Der entsprechende Registrierungsbrief wurde am 17.02.2023 versandt und ging am 20.02.2023 bei P ein. Deren Geschäftsführer befand sich zu diesem Zeitpunkt noch bis zum 23.02.2023 im Urlaub und führte die Erstanmeldung unmittelbar danach durch. Am 28.02.2023 übermittelte P schließlich einen Schriftsatz über das beSt an das FG, in dem es unter anderem heißt: "ich bitte aus folgenden Gründen die Klage … zu berücksichtigen".
Das FG (Entscheidungen der Finanzgerichte 2023, 1560) sah die Klage als unzulässig an, weil sie nicht in der durch § 52d FGO vorgeschriebenen Form erhoben worden sei. "Spätestens" ab dem 01.01.2023 habe P ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung gestanden. Das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (beSt) sei seit dem 01.01.2023 grundsätzlich funktionsbereit gewesen. Lediglich die Erstregistrierung der P habe gefehlt.
Auch wenn P ‑‑entsprechend dem Klägervortrag‑‑ im Jahr 2022 keine finanzgerichtlichen Verfahren betrieben und sich die Notwendigkeit zur Klageerhebung erst im Januar 2023 ergeben haben sollte, sei P gemäß § 57 Abs. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) zur gewissenhaften Berufsausübung verpflichtet. Sie hätte daher bereits nach Erhalt der Einspruchsentscheidung die Möglichkeit einer Klage in Betracht ziehen und sich für das vorgezogene Registrierungsverfahren anmelden müssen.
Soweit die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) und die für P zuständige Steuerberaterkammer öffentlich die Auffassung vertreten hätten, eine aktive Nutzungspflicht bestehe erst ab dem Erhalt des Registrierungsbriefs, könne dies den Kläger nicht entlasten. Zum einen hätten die Kammern ihre Einschätzung an keiner Stelle begründet; zum anderen könnten etwaige Organisationsmängel der BStBK den gesetzlichen Anwendungszeitpunkt nicht suspendieren.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da die unterbliebene Nutzung des vorgezogenen Registrierungsverfahrens als schuldhaft anzusehen sei. Zudem hätten P weitere Möglichkeiten der formwirksamen Klageerhebung zur Verfügung gestanden (absenderbestätigte De‑Mail, anderweitige Beauftragung).
Mit seiner Revision vertritt der Kläger die Auffassung, die in § 52d Satz 2 FGO angeordnete aktive Nutzungspflicht könne erst nach dem Zugang des Registrierungsbriefs beginnen. Sie setze voraus, dass die weiteren von hoheitlicher Seite ‑‑hier der BStBK als Körperschaft des öffentlichen Rechts‑‑ zu schaffenden Voraussetzungen erfüllt seien. Die gesetzliche Formulierung "zur Verfügung steht" beziehe sich auf den jeweiligen Steuerberater. Dies sei schon im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) geboten, weil ansonsten vom Steuerberater Unmögliches verlangt würde.
Ferner begründet der Kläger sein materiell-rechtliches Begehren, bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Investitionsabzugsbetrag zu berücksichtigen.
Der Senat hat durch Zwischenurteil vom 25.06.2024 ‑ X R 13/23 (BFH/NV 2024, 1420) aufgrund einer mündlichen Verhandlung mit Beweisaufnahme am 12.06.2024 festgestellt, dass die Revision in zulässiger Weise erhoben worden ist, soweit sie sich gegen den Einkommensteuerbescheid 2019 richtet.
Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung die Revision zurückgenommen, soweit sie sich zuvor auch auf den Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2019 bezogen hatte, und beantragt nunmehr,
das angefochtene Urteil und die Einspruchsentscheidung vom 14.12.2022 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 02.11.2021 dahingehend zu ändern, dass ein Investitionsabzugsbetrag in Höhe von 85.000 € für die beabsichtigte Errichtung einer Photovoltaikanlage berücksichtigt wird.
Das FA beantragt sinngemäß,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Die Klage sei unzulässig gewesen. Das gesetzliche Anwendungsdatum für den Beginn der aktiven Nutzungspflicht (mit Ablauf des 31.12.2022) sei eindeutig. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber den Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung in das Belieben der Anwender habe stellen wollen. Auch die BStBK sei nicht befugt gewesen, einen von der Gesetzeslage abweichenden Anwendungszeitpunkt vorzugeben. Das beSt habe P zur Verfügung gestanden, weil sie sich in die Lage hätte versetzen können, es rechtzeitig zu nutzen. Aus diesem Grund sei auch keine Wiedereinsetzung zu gewähren.
Der Senat hat die Beteiligten auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 23.06.2025 ‑ 1 BvR 1718/24 (Deutsches Steuerrecht ‑‑DStR‑‑ 2025, 1698) hingewiesen.
II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils, soweit es die ‑‑allein noch im Streit befindliche‑‑ Einkommensteuer 2019 betrifft, und insoweit zur Zurückverweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO).
1. Entgegen der Auffassung des FG war die Klage zulässig. Das FG hätte dem Kläger jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die mangels Verfügbarkeit des beSt unverschuldete Versäumung der Klagefrist gewähren müssen.
a) Gemäß § 56 Abs. 1 FGO ist auf Antrag ‑‑nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO auch ohne Antrag‑‑ Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten steht dem Verschulden des Beteiligten gleich (§ 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ‑‑ZPO‑‑ i.V.m. § 155 Satz 1 FGO).
aa) Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 FGO). Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind glaubhaft zu machen (§ 56 Abs. 2 Satz 2 FGO). Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO).
bb) Besteht eine Verhinderung im Sinne des § 56 Abs. 1 FGO zunächst fort, ist sie jedoch von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr unverschuldet, sondern verschuldet, beginnt die Frist statt mit dem (späteren) Wegfall des Hindernisses bereits mit diesem (früheren) Zeitpunkt (vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 05.04.2011 ‑ VIII ZB 81/10, Neue Juristische Wochenschrift 2011, 1601, Rz 9, zu § 234 Abs. 2 ZPO). Für das Verschulden kommt es nicht zuletzt darauf an, was dem Betroffenen nach den konkreten Umständen des jeweiligen Falles zu welchem Zeitpunkt zu unternehmen oblag, um zum "Wegfall des Hindernisses" für eine Wahrung der Frist beizutragen. Erfüllt der Betroffene die ihm insoweit obliegende Sorgfaltspflicht nicht, so kann das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden (vgl. BVerfG-Beschluss vom 02.06.1992 ‑ 2 BvR 1401/91, 2 BvR 254/92, BVerfGE 86, 280, unter B.2.a). Das ändert allerdings nichts daran, dass der Betroffene die versäumte Rechtshandlung nicht nachholen kann, solange das Hindernis fortbesteht.
Wenn der Zeitpunkt, zu dem aus der unverschuldeten Verhinderung eine verschuldete Verhinderung wird, und der Zeitpunkt, zu dem das Hindernis selbst fortfällt, sich nicht decken, fallen deshalb auch die Fristen für die nach § 56 Abs. 2 Satz 1, 3 FGO gebotenen Handlungen auseinander und beginnen gesondert mit dem jeweiligen Ereignis, das deren Vornahme bisher entgegenstand. Ist die Verhinderung nicht mehr als unverschuldet zu betrachten, ist der Betroffene gehalten, innerhalb der von diesem Zeitpunkt an gerechneten Wiedereinsetzungsfrist seinen Obliegenheiten zur Beseitigung des Hindernisses nachzukommen und möglicherweise auch bereits bei dem Gericht unter entsprechender Glaubhaftmachung die Wiedereinsetzung zu beantragen. Ist schließlich das Hindernis weggefallen, ist er gehalten, die versäumte Rechtshandlung innerhalb der von diesem Zeitpunkt an gerechneten Wiedereinsetzungsfrist nachzuholen.
b) Das BVerfG hat im Beschluss vom 23.06.2025 ‑ 1 BvR 1718/24 (DStR 2025, 1698) zu einem mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt ausgeführt, das dort angefochtene klageabweisende Urteil verletze das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) "jedenfalls" deshalb, weil das dortige FG den gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht mit der gegebenen Begründung hätte ablehnen dürfen. Bei der Auslegung und Anwendung der vom Gesetzgeber im Rahmen seines Spielraums geschaffenen Rechtsschutzregeln, einschließlich der gesetzlichen Voraussetzungen dafür, dass über den mit einer Klage unterbreiteten Sachverhalt überhaupt zur Sache entschieden werden darf, dürften die Gerichte den Zugang zu den dem Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschweren. Auch die Anforderungen an die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürften daher nicht überspannt werden.
Zum Jahreswechsel 2022/2023 sei eine komplexe Übergangssituation aufgetreten, nachdem entgegen der Vorgabe aus § 86d StBerG eine flächendeckende Freischaltung der Zugänge zum beSt nicht möglich gewesen und daher auch nicht erfolgt sei. Es sei naheliegend gewesen, dass Steuerberater den bis zum Beginn des Jahres 2023 durchgehend verlautbarten Äußerungen der BStBK, die Pflicht zur Nutzung des beSt beginne erst mit Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs, Vertrauen entgegengebracht hätten. Die Möglichkeit einer vorgezogenen Registrierung im Wege eines "Fast Lane"-Verfahrens sei von der BStBK stets als freiwillig deklariert worden.
c) Nach diesen Maßgaben ist die Klage im Streitfall jedenfalls deshalb zulässig, weil dem Kläger zumindest Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der auf der fehlenden Verfügbarkeit des beSt beruhenden Versäumung der Klagefrist zu gewähren ist. Den Kläger traf zunächst kein Verschulden an der Säumnis. Die nach Maßgabe von II.1.a gespaltenen Wiedereinsetzungsfristen sind gewahrt. Frühestens mit dem Empfang des Hinweisschreibens des FG vom 20.01.2023 war der Übergang von der unverschuldeten zur verschuldeten Verhinderung begründet worden. Das der formgerechten Klageerhebung entgegenstehende Hindernis selbst ist erst mit dem tatsächlichen Zugang des Registrierungsbriefs am 20.02.2023 und der darauf beruhenden Registrierung weggefallen.
aa) Der Kläger war jedenfalls bis zum 20.01.2023 ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert. Der für ihn tätigen P war bis zum Ablauf der Klagefrist (19.01.2023) der für die Erstanmeldung am beSt zwingend erforderliche Registrierungsbrief noch nicht zugegangen. Ihr war daher eine Nutzung des beSt aus tatsächlichen Gründen nicht möglich. Bei dieser Sachlage könnte ein Verschulden der P nur dann angenommen werden, wenn sie verpflichtet gewesen wäre, durch Nutzung des "Fast Lane"-Verfahrens aktiv auf ihre vorgezogene Registrierung hinzuwirken und sie außerdem einer solchen Verpflichtung schuldhaft nicht nachgekommen wäre.
Jedenfalls Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Dabei kann der Senat offenlassen, ob es eine Rechtspflicht zur Nutzung der "Fast Lane" gab und aus welcher Norm diese abzuleiten sein könnte. Jedenfalls mussten die Steuerberater als Normadressaten des § 52d Satz 2 FGO vor der Veröffentlichung der ersten hierzu ergangenen BFH-Entscheidung am 04.05.2023 (BFH-Beschluss vom 28.04.2023 ‑ XI B 101/22, BFHE 279, 523, BStBl II 2023, 763) nicht wissen, dass einige BFH-Senate nach Abschluss der Erstregistrierungsphase die Auffassung vertreten würden, die Nutzung der "Fast Lane" sei aus Rechtsgründen erforderlich gewesen. Das in § 52d Satz 1 FGO enthaltene Tatbestandsmerkmal, dass ein sicherer Übermittlungsweg "zur Verfügung steht", lässt nicht ohne Weiteres eine rechtliche Verpflichtung erkennen, sich vermittels der "Fast Lane" ‑‑entgegen dem im Gesetz vorgezeichneten Verfahren, wonach die BStBK von sich aus die Übersendung der Registrierungsbriefe bewirkt‑‑ den Übermittlungsweg selbst zu beschaffen (dazu unten (1)). Die BStBK als derjenige Hoheitsträger, der zur Einrichtung und zum Betrieb des beSt verpflichtet ist, hat allen Berufsträgern ausdrücklich mitgeteilt, dass die "Fast Lane" lediglich als Angebot zu verstehen sei, aber keine Rechtspflicht zu ihrer Nutzung bestehe (unten (2)). Auch aus der vor dem 04.05.2023 veröffentlichten BFH-Rechtsprechung ergibt sich kein Hinweis auf eine Pflicht zur Nutzung der "Fast Lane" (unten (3)). Ohnehin wäre die "Fast Lane" jedenfalls im Streitfall nicht geeignet gewesen, die einmonatige Klagefrist zu wahren (unten (4)).
(1) Aus den gesetzlichen Regelungen zum beSt haben die Steuerberater vor Veröffentlichung der ersten einschlägigen BFH-Entscheidungen nicht erkennen können, dass eine Rechtspflicht zur Nutzung des "Fast Lane"-Verfahrens bestehen könnte.
Förmlich verkündete Gesetze und Verordnungen beanspruchen aufgrund des Verkündungsakts auch dann allgemeine Geltung, wenn sie ein Rechtsunterworfener im Einzelfall tatsächlich nicht kennt. Die "Fast Lane" wird indes weder in einem Gesetz noch in einer Rechtsverordnung erwähnt. Es handelt sich auch nicht um einen übergeordneten Rechtsbegriff ("Überholspur"), aus dem sich eine Rechtspflicht entnehmen ließe, über die ausdrücklich normierten Rechtsgrundlagen hinaus die Beschaffung des Zugangs zum beSt zu beschleunigen.
Den gesetzlichen Grundlagen für das beSt und den Registrierungsprozess ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der einzelne Steuerberater verpflichtet gewesen wäre, schon vor Erhalt des in § 15 der Steuerberaterplattform- und ‑postfachverordnung (StBPPV) allein genannten Registrierungstokens (des Registrierungsbriefs) aktiv auf eine vorgezogene Registrierung hinzuwirken. Die gesetzlichen Regelungen in § 85 Abs. 2 Nr. 11, § 86d StBerG in der im maßgebenden Zeitraum gültigen Fassung verpflichten ausschließlich die BStBK ‑‑nicht aber den einzelnen Berufsträger‑‑ zur Einrichtung des beSt. Den Registrierungstoken (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 StBPPV) erhält der einzelne Steuerberater von der BStBK. Die gesetzliche Regelung hat daher aus Sicht eines durchschnittlichen Steuerberaters zumindest den Anschein erweckt, er dürfe abwarten, bis die BStBK ihre gesetzliche Pflicht erfüllt und ihm das beSt durch Übersendung des Registrierungstokens zur Verfügung stellt, bevor er sich elektronisch identifizieren (erstanmelden) muss.
(2) In Übereinstimmung damit hatte die BStBK den Steuerberatern mitgeteilt, die "Fast Lane" sei lediglich als freiwilliges Angebot zu verstehen. Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 85 Abs. 2 Satz 1 StBerG), hat das beSt als hoheitlichen Dienst zur Verfügung zu stellen (BTDrucks 19/30516, S. 63; zu § 86c Abs. 5 StBerG des Gesetzesentwurfs) und nach § 2 Abs. 4 StBPPV über die Registrierungspflicht zu informieren. Diese Informationspflicht wurde unter anderem dadurch erfüllt, dass in den Kammermitteilungen der regionalen Steuerberaterkammern, die jedem Berufsträger zugehen, auf die Registrierungspflicht hingewiesen wurde. Der Kläger hat dem FG eine entsprechende Mitteilung der Steuerberaterkammer Stuttgart von November 2022 vorgelegt. Die BStBK, auf die diese Mitteilung verwiesen hatte, hatte zwar seit Herbst 2022 auf die "Fast Lane" hingewiesen, dies jedoch mit dem ausdrücklichen Zusatz, dass es sich dabei um ein freiwilliges Angebot handele (so auch BVerfG-Beschluss vom 23.06.2025 ‑ 1 BvR 1718/24, DStR 2025, 1698, Rz 19). Nach dem Wissen des Senats haben im Übrigen auch die anderen regionalen Steuerberaterkammern keine gegenteiligen Verlautbarungen herausgegeben.
Soweit das FG im angefochtenen Urteil die Auffassung vertreten hat, die BStBK könne durch ihre Verlautbarungen den gesetzlichen Anwendungszeitpunkt für das beSt nicht suspendieren, argumentiert es widersprüchlich. Denn es hat dem Kläger selbst mitgeteilt, der BFH gehe von einer aktiven Nutzungspflicht erst ab dem 15.01.2023 aus. Auch dies entspräche aber nicht mehr dem gesetzlichen Anwendungszeitpunkt. Im Übrigen gab es zu diesem Zeitpunkt noch keine einschlägigen BFH-Entscheidungen. Es muss sich um eine vorläufige und auch deshalb naturgemäß unverbindliche Einschätzung der Gerichtsverwaltung des BFH gehandelt haben.
Es stellt demnach kein "Verschulden" im Sinne des § 56 Abs. 1 FGO dar, wenn P sich auf diese Informationen der für die Errichtung des beSt zuständigen öffentlich-rechtlichen Berufskammern verlassen hat.
(3) Auch aus der vor dem 04.05.2023 veröffentlichten BFH-Rechtsprechung ergibt sich kein Hinweis auf eine Pflicht zur Nutzung der "Fast Lane".
Das FG hat in seinem angefochtenen Urteil eine Obliegenheit der Steuerberater, die "Fast Lane" zu nutzen, aus dem BFH-Beschluss vom 27.04.2022 ‑ XI B 8/22 (BFH/NV 2022, 1057, Rz 6) abgeleitet. In diesem Beschluss heißt es jedoch lediglich, für Steuerberater werde die BStBK ab dem 01.01.2023 ein beSt einrichten; die Steuerberater seien mit der Einrichtung des Postfachs, spätestens aber ab diesem Zeitpunkt nach § 52d Satz 2 FGO nutzungspflichtig. In dieser nicht entscheidungstragenden Erwägung ‑‑bei dem dortigen Prozessbevollmächtigten handelte es sich auch um einen Rechtsanwalt, so dass die Nutzungspflicht schon aus § 52d Satz 1 FGO folgte und bereits seit dem 01.01.2022 bestand‑‑ gibt der XI. Senat aber im Wesentlichen lediglich den Inhalt der gesetzlichen Regelung wieder. Er befasst sich hingegen nicht damit, wie die Steuerberater mit dem ‑‑im Zeitpunkt des Ergehens seiner Entscheidung (27.04.2022) noch gar nicht absehbaren‑‑ Umstand umgehen sollten, dass die BStBK nicht in der Lage war, die Registrierungsbriefe pünktlich zum 01.01.2023 zu versenden. Der Entscheidung ist auch nichts zu einer "Fast Lane" zu entnehmen.
In der ‑‑veröffentlichten‑‑ instanzgerichtlichen Rechtsprechung wird der Begriff "Fast Lane", soweit ersichtlich, erstmals in einem Urteil des FG Baden-Württemberg vom 16.02.2023 ‑ 7 K 1251/22 (unter I.) verwendet. Diese Entscheidung ist aber deutlich nach Ablauf der Klagefrist im vorliegenden Verfahren veröffentlicht worden.
(4) Jedenfalls im Streitfall war die "Fast Lane" zudem nicht geeignet, innerhalb der einmonatigen Klage- oder Rechtsmittelfrist einen bisher nicht bestehenden Zugang zum beSt zu eröffnen. So ist vorliegend vom FG festgestellt sowie vom Kläger unter Vorlage von Unterlagen unwidersprochen vorgetragen worden, dass der entsprechende Antrag am 20.01.2023 gestellt wurde und die zuständige Steuerberaterkammer am 26.01.2023 die vorgezogene Anmeldung beim beSt vornahm, der Registrierungsbrief jedoch erst am 17.02.2023 durch den von der Steuerberaterkammer beauftragten Dienstleister an den Steuerberater abgesandt wurde und bei diesem am 20.02.2023 einging. Das Beschreiten der "Fast Lane" hat in diesem Verfahren also einen vollen Monat gedauert und damit genauso lang wie der Lauf einer Klagefrist. Eine derart langsame "Fast Lane" wäre von vornherein ungeeignet gewesen, nach Zugang einer Einspruchsentscheidung noch während der laufenden Klagefrist die Möglichkeit zur Nutzung des beSt zu schaffen.
(5) Das FG hat ein Verschulden der P auch darin gesehen, dass diese keine anderen Möglichkeiten zur formwirksamen Klageerhebung genutzt habe (absenderbestätigte De‑Mail, anderweitige Beauftragung). Für die Nutzung eines solchen Übermittlungsweges bestand aus Sicht der P angesichts des Gesetzeswortlauts und der Verlautbarungen der BStBK allerdings kein Anlass. Ein Verschulden kann daher auch insoweit nicht angenommen werden.
(6) Soweit in einzelnen BFH-Entscheidungen zu ähnlichen Sachverhalten bisher die Gewährung von Wiedereinsetzung unter Berufung auf ein in der Nichtnutzung der "Fast Lane" liegendes Verschulden versagt worden ist, sind diese Entscheidungen durch den BVerfG-Beschluss vom 23.06.2025 ‑ 1 BvR 1718/24 (DStR 2025, 1698) überholt. Im Übrigen haben auch andere Senate des BFH in vergleichbaren Fällen bereits Wiedereinsetzung gewährt (vgl. BFH-Urteil vom 22.10.2024 ‑ VIII R 19/22, BFH/NV 2025, 288, Rz 39 ff.).
bb) Wenn davon auszugehen sein sollte, dass mit dem Hinweisschreiben des FG vom 20.01.2023 eine Sorgfaltspflicht dahin begründet wurde, unverzüglich über die "Fast Lane" einen Zugang zum beSt zu beschaffen, so ist P dem jedenfalls nachgekommen. P hat unverzüglich nach Erhalt dieses Schreibens, nämlich noch am selben Tage, die vorgezogene Registrierung beantragt. Ferner hat der Kläger gegenüber dem FG am 31.01.2023 ‑‑und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist‑‑ auf die Äußerungen der für P zuständigen regionalen Steuerberaterkammer hingewiesen, die sich mit den vom BVerfG herangezogenen Verlautbarungen der BStBK decken, und dies durch Vorlage der entsprechenden Kammermitteilung glaubhaft gemacht. Das FG hat dieses Vorbringen zutreffend als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt.
cc) Der Kläger hat auch die versäumte Rechtshandlung nachgeholt. Zwar konnte dies nicht innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 3 FGO) geschehen, da P trotz eines von ihr gestellten "Fast Lane"-Antrags auch bis zum Ablauf der Antragsfrist noch nicht über den erforderlichen Erstregistrierungsbrief verfügte. Nach dem Zugang des Erstregistrierungsbriefs am 20.02.2023 hat P aber mit dem nunmehr über das beSt und damit ordnungsgemäß übermittelten Schriftsatz vom 28.02.2023 zum Ausdruck gebracht, dass das Klageverfahren wegen der Einkommensteuer 2019 und der gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2019 betrieben werden soll. Darin ist die Nachholung der ‑‑möglicherweise, falls nämlich eine Verpflichtung zur Nutzung der "Fast Lane" bestanden haben sollte (s. oben unter II.1.c aa)‑‑ versäumten Rechtshandlung zu sehen.
d) Der Senat hat im Beschluss vom 17.04.2024 ‑ X B 68, 69/23 (BFHE 284, 237, Rz 19 ff.) ‑‑in nicht entscheidungstragenden Erwägungen‑‑ die Auffassung vertreten, die Steuerberaterplattform- und ‑postfachverordnung sei aus formellen Gründen unwirksam. Angesichts des Umstands, dass das BVerfG im Beschluss vom 23.06.2025 ‑ 1 BvR 1718/24 (DStR 2025, 1698, Rz 21) offengelassen hat, ob der dortige Beschwerdeführer die Unwirksamkeit der Steuerberaterplattform- und ‑postfachverordnung ausreichend dargelegt habe, verfolgt der Senat seine Auffassung nicht weiter.
2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat ‑‑aufgrund seiner Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig‑‑ keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Voraussetzungen für eine Gewährung des vom Kläger begehrten Investitionsabzugsbetrags erfüllt sind. Aus diesem Grund ist der Rechtsstreit an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen.
3. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 FGO).
4. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das FG beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.
Bei seiner späteren Kostenentscheidung wird das FG berücksichtigen, dass ursprünglich auch der Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2019 (hier ein reiner Folgebescheid) Gegenstand des Klage- und Revisionsverfahrens war, der Kläger die Revision aber insoweit zurückgenommen hat. Im Kosteninteresse des Klägers verzichtet der Senat auf einen förmlichen Beschluss über die Trennung der Verfahren und die Einstellung des Revisionsverfahrens in Bezug auf den zurückgenommenen Teil, zumal ein solcher Einstellungsbeschluss angesichts der bereits wirksamen teilweisen Rücknahme der Revision ohnehin nur deklaratorisch wäre (BFH-Beschluss vom 14.07.1976 ‑ VIII R 52/76, BFHE 119, 233, BStBl II 1976, 630; vgl. auch Senatsbeschluss vom 12.05.1993 ‑ X B 28/93, BFH/NV 1994, 182, zur Rücknahme einer Beschwerde).