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BFH: Kein Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer auf Einkünfte eines Erben wegen langjähriger Dauer eines Erbscheinverfahrens

  1. Auch ein Grundlagenbescheid, der viele Jahre nach Ende des Veranlagungs­zeitraums erlassen oder geändert wird, kann zu einer Zinspflicht unter Anwen­dung der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 der Abgabenordnung führen (Festhal­tung am Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1688 = SIS 16 23 26, Rz 29 f.).
  2. Der Umstand, dass der Steuerpflichtige aufgrund der unklaren Erbrechtssi­tuation nicht in der Lage war, die Besteuerungsgrundlagen früher zu ermitteln beziehungsweise zu schätzen und eine Vorauszahlung auf die zu erwartenden Steuern zu leisten, um eine Zinsentstehung zu verhindern oder jedenfalls zu reduzieren, begründet keine sachliche Unbilligkeit.
  3. Die Freistellung von der Zahlung der Steuer rechtfertigt im Hinblick auf den hierdurch typisierend anzunehmenden Liquiditäts‑ und Zinsvorteil hinsichtlich der Steuerschuld die Festsetzung von Nachzahlungszinsen. Auf die fehlende Nutzungsmöglichkeit der Nachlassgegenstände durch den Steuerpflichtigen während des Erbscheinverfahrens kommt es nicht an.

AO § 3 Abs. 4, § 37 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 162 Abs. 5, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 179 Abs. 3, § 227, § 233a Abs. 2, § 233a Abs. 2a, § 238 Abs. 1 Satz 1, § 238 Abs. 1a

BFH-Urteil vom 9.4.2025, X R 12/21 (veröffentlicht am 26.6.2025)

Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 19.5.2021, 4 K 2381/20 AO = SIS 21 11 29

A. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Erbe zu 1/2 nach dem am 06.10.2012 verstorbenen Erblasser (E). E hinterließ verschiedene Testamente. Nach seinem Tod kam es zu langjährigen Streitigkeiten um die Erbfolge und insbesondere um die Frage, ob E bei Abfassung der jeweiligen letztwilligen Verfügung testierfähig gewesen war. Am 28.08.2018 wurde schließlich ein Erbschein erteilt, der den Kläger ‑‑neben zwei weiteren Erben‑‑ als Erbe zu 1/2 auswies.

In den an die Erbengemeinschaft gerichteten Feststellungsbescheiden für die Jahre 2012 bis 2017 vom 09.08.2019 wurden dem Kläger Einkünfte aus Ge­werbebetrieb, aus Vermietung und Verpachtung sowie Kapitaleinkünfte zu­gerechnet. Infolgedessen erließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanz­amt ‑‑FA‑‑) am 28.10.2019 gegenüber dem Kläger geänderte Einkommen­steuerbescheide, in denen unter anderem Zinsen nach § 233a der Abgaben­ordnung (AO) in folgender Höhe festgesetzt wurden:

2012  21.071 €  
2013 15.221 €
2014 ‑ 1.419 €
2015 ‑    644 €
2016 ‑    300 €
2017 ‑    177 €
Saldo 33.752 €

Der Kläger beantragte am 02.12.2019 "den Erlass der gesamten Nachzah­lungs- sowie Erstattungszinsen der Jahre 2012 bis 2017 von zusammen 33.752,00 € aus sachlichen Billigkeitsgründen". Zur Begründung führte er an, bis in das Jahr 2019 sei nicht klar gewesen, wer an der Erbengemeinschaft be­teiligt sei und wem welche Einkünfte zuzurechnen seien. Ihn treffe an der Ver­zögerung keine Schuld.

Das FA lehnte einen Erlass mit Bescheid vom 07.01.2020 ab. Die festgesetzten Zinsen seien eine Gegenleistung für eine mögliche Kapitalnutzung, zumal der Zinsvorteil des Steuerschuldners zugleich einen Zinsnachteil des Steuergläubi­gers nach sich ziehe. Verschuldensfragen seien auf beiden Seiten irrelevant.

Den hiergegen eingelegten Einspruch begründete der Kläger damit, dass die in den Jahren 2012 und 2013 entstandenen Gewinne aus Beteiligungen, die ih­rerseits noch auf Erklärungen des E zurückzuführen seien, über Jahre keinem Erben hätten zugeordnet werden können. Während dieses Zeitraums sei ihm kein Vorteil aus dem Nachlass entstanden. Die Testamentsvollstreckung sei ei­nem Rechtsanwalt übertragen gewesen. Nachdem er im Herbst 2019 von ei­nem anderen Erben über voraussichtlich hohe Steuerschulden informiert wor­den sei, habe er umgehend seinen Steuerberater eingeschaltet und aufgrund dessen Berechnungen wenige Tage vor Ergehen der geänderten Einkommen­steuerbescheide circa 170.000 € an das FA überwiesen. Ein früherer Ausgleich der Steuern sei ihm nicht möglich gewesen.

Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, dem Wortlaut nach gerichtet auf Verpflichtung zum Erlass der Nachzahlungszinsen zur Einkom­mensteuer für die Jahre 2012 bis 2017 in Höhe von insgesamt 33.752 €, wies das Finanzgericht (FG) ab (Entscheidungen der Finanzgerichte ‑‑EFG‑‑ 2021, 1349) und führte zur Begründung im Wesentlichen aus:

Die Ablehnung des auf sachliche Unbilligkeit gestützten Erlassantrags durch das FA gemäß § 227 AO sei nicht ermessensfehlerhaft erfolgt. Denn die Ver­zinsung entspreche vorliegend den Wertungen des Gesetzes.

Die Verzinsungsregelung in § 233a AO bezwecke einen typisierenden Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die sich daraus ergäben, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zu unterschiedlichen Zeitpunkten festge­setzt und fällig würden. Die Gründe hierfür und etwaige Verschuldensfragen seien nach der gesetzlichen Konzeption irrelevant. Dies gelte auch für (Ände­rungs‑)Festsetzungen, die auf einem Grundlagenbescheid beruhten und mög­licherweise erst viele Jahre nach Ende des Veranlagungszeitraums erfolgten. Anders als etwa bei Änderungen aufgrund rückwirkender Ereignisse (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 233a Abs. 2a AO) habe der Gesetzgeber einen ab­weichenden Zinslauf für eine Änderung aufgrund eines Grundlagenbescheids gerade nicht vorgesehen. Das Gesetz nehme es somit bewusst in Kauf, dass in diesen Fällen über einen langen Zeitraum Erstattungs- oder Nachzahlungszin­sen nach § 233a AO entstehen könnten. Eine Billigkeitskorrektur widerspräche daher dem gesetzgeberischen Konzept.

Soweit der Bundesfinanzhof (BFH) in einer Entscheidung zusätzlich darauf ab­gestellt habe, dass es dem Steuerpflichtigen möglich gewesen sei, die festzu­stellenden Besteuerungsgrundlagen bei der Einkommensteuererklärung bereits vorab im Schätzungswege nach § 155 Abs. 2 i.V.m. § 162 Abs. 5 AO anzuge­ben und so die Zinsentstehung zu verhindern beziehungsweise zu reduzieren (Urteil vom 03.12.2019 ‑ VIII R 25/17, BFHE 266, 501, BStBl II 2020, 214, Rz 23; offengelassen im Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 35), führe dies zu keiner anderen Beurteilung. Zwar mache der Kläger glaubhaft geltend, ihm sei erst kurz vor Ergehen der geänderten Steuerbescheide eine sachgerechte Schätzung möglich gewesen, die zur Vor­abzahlung von 170.000 € geführt habe. Gleichwohl begründe dieser Umstand aus sich heraus keine sachliche Unbilligkeit. Der BFH habe die genannte Erwä­gung insbesondere herangezogen, um zu unterstreichen, warum der Gesetz­geber die Fälle der rückwirkenden Ereignisse ‑‑in denen eine vorherige Schät­zung per se unmöglich sei‑‑ hinsichtlich des Zinslaufs durch die Sonderrege­lung des § 233a Abs. 2a AO anders behandele als die Fälle des Ergehens von Grundlagenbescheiden.

Maßgeblich für diese Differenzierung sei nicht, dass in Fällen von Grundlagen­bescheiden stets eine zutreffende Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Vorhinein möglich wäre. Vielmehr sei die Sonderregelung des § 233a Abs. 2a AO eingeführt worden, um den Bedenken des VIII. Senats des BFH Rechnung zu tragen, der zuvor Zweifel an der uneingeschränkten Anwendung des § 233a AO bei rückwirkenden Ereignissen geäußert habe (BTDrucks 13/5952, S. 56, unter Verweis auf BFH-Beschluss vom 27.09.1994 ‑ VIII B 21/94, BFHE 175, 516, unter 3.). Der Beschluss des VIII. Senats habe sich wiederum auf die Überlegung gestützt, dass in Fällen rückwirkender Ereignisse eine frühere Steuerfestsetzung stets ausgeschlossen sei, so dass von einem Liquiditätsvor­teil des Steuerschuldners beziehungsweise Liquiditätsnachteil des Steuergläu­bigers nicht die Rede sein könne (BFH-Beschluss vom 27.09.1994 - VIII B 21/94, BFHE 175, 516, unter 3.b aa und bb). Gleiches solle für die ebenfalls von § 233a Abs. 2a AO erfassten Fälle des Verlustrücktrags gelten (BTDrucks 13/5952, S. 56).

Ungeachtet dessen, dass der VIII. Senat des BFH an der im Beschluss vom 27.09.1994 ‑ VIII B 21/94 (BFHE 175, 516) geäußerten Rechtsauffassung spä­ter nicht mehr festgehalten habe (vgl. Urteil vom 27.01.1998 ‑ VIII R 47/96, BFHE 185, 563, BStBl II 1998, 498, unter II., unter Bezugnahme auf die ab­weichende Entscheidung des I. Senats im Urteil vom 02.07.1997 ‑ I R 25/96, BFHE 183, 33, BStBl II 1997, 714, unter II.2.), lasse sich diese Überlegung je­denfalls auf Fälle, in denen ein Verhältnis von Grundlagen- und Folgebescheid bestehe, nicht übertragen. Denn dort sei eine frühere Festsetzung nicht per se ausgeschlossen; sie hänge vielmehr vom Zeitpunkt des Ergehens des Grundla­genbescheids ab. Ergehe der Grundlagenbescheid zu einem späteren Zeit­punkt, trete im Vergleich zu einem früheren Ergehen des Grundlagenbescheids ein Liquiditätsvorteil oder ‑nachteil ein. Die gesetzgeberische Entscheidung, aus diesem Grund ausschließlich für Fälle eines rückwirkenden Ereignisses be­ziehungsweise eines Verlustrücktrags eine Sonderregelung zu schaffen, würde konterkariert, wenn man bei anderen Fallgestaltungen eine Gleichbehandlung mit den Fällen des § 233a Abs. 2a AO herstellen würde, indem man ‑‑entge­gen der Grundausrichtung des § 233a AO‑‑ im Billigkeitswege die Ursache der verspäteten Steuerfestsetzung berücksichtigte.

Auch der Umstand, dass der Kläger nach seinem Vortrag erst 2018 und damit circa sechs Jahre nach dem Erbfall als Erbe festgestanden und bis zu diesem Zeitpunkt keine Zugriffsmöglichkeit auf Nachlassgegenstände gehabt habe, begründe keine sachliche Unbilligkeit. Soweit sich der Kläger darauf berufe, er habe während der Jahre 2012 bis 2018 keine Nutzungen aus dem Kapital zie­hen können, verkenne er den Bezugspunkt des § 233a AO: Die Vorschrift be­treffe den Zins- beziehungsweise Liquiditätsvorteil aus den Geldbeträgen, die für die Steuerzahlung hätten verwendet werden müssen. Diese Steuerzahlung habe der Kläger nicht schon nach Ablauf der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO in den Jahren 2013 beziehungsweise 2014, sondern erst 2019 zu leisten gehabt, so dass bei typisierender Betrachtung ein Zinsvorteil durchaus entstanden sei. Dabei komme es auch nicht darauf an, ob die fraglichen Steu­erbeträge aus (Bar‑)Mitteln der Erbschaft hätten beglichen werden können oder nicht. Soweit nämlich bei einer früheren Steuerfestsetzung die Steuer­zahlung hätte fremdfinanziert werden müssen, so wäre hierin ‑‑ohne dass es bei der typisierenden Regelung des § 233a AO darauf ankäme‑‑ erst recht der durch die spätere Festsetzung entstehende Zinsvorteil erkennbar geworden.

Mit der hiergegen eingelegten Revision wendet sich der Kläger gegen die vom FG vorgenommene Auslegung des § 233a AO.

Das FG habe die in der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgestellten Rechtsgrundsätze zwar erkannt und teilweise auch in den Text des angefoch­tenen Urteils aufgenommen, den zugrunde liegenden Sachverhalt aber unzu­treffend gewürdigt. Denn es habe zu Unrecht keine sachliche Unbilligkeit darin gesehen, dass er vorliegend nicht in der Lage gewesen sei, die Besteuerungs­grundlagen früher ‑‑vor Beginn des Zinslaufs‑‑ zu ermitteln beziehungsweise zu schätzen und durch frühere Entrichtung der (noch unbekannten) Steuern die Zinsentstehung zu verhindern oder jedenfalls zu reduzieren.

Der Gesetzgeber habe für Fälle eines rückwirkenden Ereignisses in § 233a Abs. 2a AO eine besondere Zinsregelung geschaffen, da hier ‑‑worauf das FG selbst zu Recht abstelle‑‑ eine vorherige Schätzung per se unmöglich sei. Eine solche tatsächliche Unmöglichkeit liege allerdings im Streitfall ebenfalls vor. Dem Kläger sei es nicht möglich gewesen, zu einem früheren Zeitpunkt die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln und eine entsprechende Vorauszahlung auf die zu erwartenden Steuernachzahlungen zu leisten, zumal er bis zur Er­langung des Erbscheins (28.08.2018) nicht sicher gewesen sei, dass er über­haupt in die Erbenstellung eintreten und ihn die Verpflichtung zur Entrichtung der Steuern treffen werde.

Des Weiteren sei die Verzinsung der durch ihn nachzuzahlenden Beträge auch deshalb sachlich unbillig, da sie keinen Liquiditäts- beziehungsweise Zinsvorteil ausgleichen könne. Denn ein solcher Vorteil sei bei ihm ‑‑entgegen der Dar­stellung des FG‑‑ nicht entstanden. Die Ausführungen des FG im angefochte­nen Urteil, die einen fiktiven Sachverhalt unterstellten, blieben ihm unver­ständlich.

Ebenso wie in den Fällen des rückwirkenden Ereignisses nach § 233a Abs. 2a AO habe er bis zur Ausstellung des Erbscheins noch nicht einmal die "reine Möglichkeit" der Kapitalnutzung gehabt. Stehe aber zweifelsfrei fest, dass kein Vorteil oder Nachteil entstanden sei, könne ein solcher nicht ausgeglichen wer­den, mit der Folge, dass nach Maßgabe des BFH-Urteils vom 11.07.1996 - V R 18/95 (BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259) die Zinsen zu erlassen seien. Da § 233a Abs. 2a AO seinem Wortlaut nach hier nicht unmittelbar eingreife, sei der Zielrichtung dieser Vorschrift im Rahmen des Erlassverfahrens Rech­nung zu tragen.

Darüber hinaus rechtfertige sich der Erlass aufgrund eines groben Verschul­dens des FA; dieser Gesichtspunkt sei jedenfalls bei der Überprüfung der Er­messensentscheidung des FA durch das FG nicht berücksichtigt worden.

Auch wenn die Verschuldensfrage für die Anwendbarkeit des § 233a AO grund­sätzlich unbeachtlich sei, habe dies das FG München mit Urteil vom 23.07.2002 ‑ 2 K 4280/00 (EFG 2002, 1491) im Fall einseitigen, groben Ver­schuldens der Finanzbehörde anders gesehen. Vorliegend habe das FA durch seine Inaktivität dazu beigetragen, dass der Steueranspruch dem Grunde und der Höhe nach über lange Zeit nicht konkretisiert worden sei, obwohl die Fi­nanzbehörde eine entsprechende Ermittlungspflicht von Amts wegen gehabt habe. Die ermittelten Besteuerungsgrundlagen des E hätten vom FA in einem Schätzungsbescheid berücksichtigt werden können, der über die "Rechtsfigur der unbekannten Erben" nach § 1960 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) dem Nachlasspfleger gegenüber hätte bekannt gegeben werden können (dazu BFH-Urteil vom 17.06.2020 ‑ II R 40/17, BFHE 269, 442, BStBl II 2020, 850). Hierdurch hätte das FA den auf der Ebene des Klägers entstandenen Zinsnach­teil beschränken können.

Schließlich beruhe das angegriffene Urteil auf einem Verfahrensfehler im Sinne von § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG habe ver­säumt, den tatsächlichen Sachverhalt adäquat aufzuklären. Denn soweit das FG darauf abstelle, dass dem Kläger ein typisierter Zinsvorteil zugutegekom­men sei, hätte es insoweit einer Feststellung bedurft, dass es tatsächlich eine Nutzungsmöglichkeit auf seiner Ebene gegeben habe. Derartige Ermittlungen, hinsichtlich des Umfangs des Nachlasses sowie hinsichtlich der Möglichkeit der Nutzung des Kapitals, habe das FG nicht angestellt.

Der Kläger hatte im Rahmen seiner Revisionsbegründung vom 20.08.2021 zu­nächst beantragt, dem Antrag auf Erlass der Nachzahlungszinsen der Veranla­gungszeiträume 2012 bis 2017 stattzugeben. Am 25.03.2024 hat das FA im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) und die nachfolgende Einfügung des § 238 Abs. 1a AO geänderte Bescheide für 2012 und 2013 über die Festsetzung von Zinsen zur Einkommensteuer erlassen, in denen die Nachzahlungszinsen auf 18.657 € (2012) beziehungsweise 13.101 € (2013) herabgesetzt worden sind. Auf entsprechende Anfrage des Senats hat der Kläger ausdrücklich erklärt, er halte an den in der Beschwerdebegründung vom 20.08.2021 gestellten Anträgen weiterhin fest.

Der Kläger beantragt demnach sinngemäß,
das Urteil des FG Düsseldorf vom 19.05.2021 ‑ 4 K 2381/20 AO aufzuheben und das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 07.01.2020 in Ge­stalt der Einspruchsentscheidung vom 25.08.2020 zu verpflichten, die Nach­zahlungszinsen für die Jahre 2012 und 2013 insoweit zu erlassen, als sie die Erstattungszinsen für die Jahre 2014 bis 2017 übersteigen, insgesamt also im Umfang von 33.752 €.

Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Es hält die angefochtene Entscheidung für rechtsfehlerfrei.

Der Liquiditätsvorteil, den § 233a AO abschöpfen wolle, beziehe sich auf die zur Entrichtung der Steuer notwendigen Beträge, nicht auf den Anfall der Erb­schaft. Das vom Kläger erstmals im Revisionsverfahren behauptete (einseiti­ge) grobe Verschulden des FA liege nicht vor. Ungeachtet der Frage, ob die Bekanntgabe der Einkommensteuerbescheide an den Nachlasspfleger als Ver­treter der noch unbekannten Erben überhaupt rechtlich zulässig gewesen wäre oder nicht außerhalb des Aufgabenkreises eines Nachlasspflegers liege, sei dies vorliegend jedenfalls tatsächlich nicht möglich gewesen. Denn das Nach­lassgericht habe keinen Nachlasspfleger bestellt. Hierfür habe angesichts der angeordneten Testamentsvollstreckung auch das nach § 1960 Abs. 1 Satz 1 BGB erforderliche Bedürfnis nicht bestanden. Der Umstand, dass das FA weder auf die Bestellung eines Nachlasspflegers hingewirkt noch Einkommensteuer­bescheide gegenüber dem (nicht vorhandenen) Nachlasspfleger für die unbe­kannten Erben bekannt gegeben habe, begründe daher kein (grobes) Ver­schulden.

B. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 FGO zurückzuweisen.

I. Die Revision ist unzulässig, soweit der Kläger sein ursprüngliches Klage- und Revisionsbegehren trotz objektiv eingetretener Erledigung aufrechterhalten hat.

1. Hat sich ein Rechtsstreit im Revisionsverfahren in der Hauptsache erledigt, wird die Revision dadurch unzulässig. Ein Rechtsstreit ist in der Hauptsache erledigt, wenn ein Ereignis, das nach Rechtshängigkeit eingetreten ist, alle streitbefangenen Sachfragen gegenstandslos gemacht hat (vgl. Senatsbe­schluss vom 23.05.2016 ‑ X R 54/13, BFH/NV 2016, 1457, Rz 18 f.). Das kann der Erlass eines Abhilfebescheids sein, ist aber nicht darauf beschränkt (vgl. BFH-Beschluss vom 10.07.2024 ‑ III R 18/24, BFH/NV 2024, 1178, Rz 11; ähnlich BFH-Beschluss vom 24.06.1986 ‑ III R 293/84, BFH/NV 1986, 760). Ein Verfahren kann auch teilweise erledigt sein, wenn der Streitgegenstand, wie hier, teilbar ist.

2. Der Kläger hatte im Rahmen seiner Revisionsbegründung einen Antrag ge­stellt, den er zwar nicht ausdrücklich beziffert hatte, der aber bezifferbar und so zu verstehen war, dass er den Saldo aller für die Jahre 2012 bis 2017 fest­gesetzten Zinsen zu erlassen beantragt. Der Erlass von Erstattungszinsen (Er­lass eines eigenen Anspruchs des Klägers gegen das FA) kommt mangels Be­schwer nicht in Betracht. Da der Antrag gleichwohl die Jahre 2014 bis 2017 umfasst, legt ihn der Senat dahingehend aus, dass der Kläger ausschließlich den Erlass der Nachzahlungszinsen für die Jahre 2012 und 2013 und auch dies nur insoweit begehrte, als Letztere die Erstattungszinsen für die Jahre 2014 bis 2017 übersteigen. Dieser Saldo lässt sich anhand der vorliegenden Be­scheide ohne Weiteres berechnen. Er beträgt 33.752 € und entspricht damit auch dem im FG-Verfahren gestellten Antrag.

3. Die Revision ist unzulässig geworden, soweit der Kläger trotz Minderung der festgesetzten Nachzahlungszinsen einen Erlass über einen Betrag von 29.218 € hinaus begehrt. Unter dem 25.03.2024 sind geänderte Zinsbescheide für 2012 und 2013 ergangen, mit denen das FA die Nachzahlungszinsen je­weils in geringerer Höhe als ursprünglich festgesetzt hat. Damit ist während des Revisionsverfahrens die Grundlage für das Erlassbegehren der Sache nach teilweise entfallen. Der Kläger hat daraufhin indes ‑‑trotz eines entsprechen­den Hinweises des Senats‑‑ weder den Rechtsstreit (teilweise) in der Haupt­sache für erledigt erklärt noch sein Klagebegehren entsprechend reduziert. Vielmehr hat er ausdrücklich weiterhin an den in der Revisionsbegründungs­schrift gestellten Anträgen und damit an dem bislang begehrten Erlass der Nachzahlungszinsen im Umfang von insgesamt 33.752 € festgehalten.

Das bedeutet, dass die Revision nunmehr in dem Maße ‑‑mangels Be­schwer‑‑ unzulässig (geworden) ist, als durch die geänderten Zinsbescheide vom 25.03.2024 die festgesetzten Nachzahlungszinsen für 2012 auf 18.657 € und für 2013 auf 13.101 €, mithin auf insgesamt 31.758 €, gemindert wurden. Nach rechnerischem Abzug der Erstattungszinsen für 2014 bis 2017 in Höhe von 2.540 € umfasst das Erlassbegehren zulässigerweise nur noch einen Be­trag in Höhe von 29.218 €. Im übersteigenden Maße von 4.534 € (33.752 € ./. 29.218 €) ist die Revision daher unzulässig geworden.

II. Die Revision ist im Übrigen unbegründet. Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Erlass der in Rede stehenden Nachzah­lungszinsen hat und die Ablehnung des Erlassantrags durch das FA nicht er­messensfehlerhaft war. Die Erhebung der streitigen Nachzahlungszinsen ist nicht unbillig im Sinne des § 227 AO.

1. Die Finanzbehörden können nach § 227 AO Ansprüche aus dem Steuer­schuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.

a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehören nach § 37 Abs. 1 AO auch Ansprüche auf steuerliche Nebenleistungen, zu denen wiede­rum nach § 3 Abs. 4 AO auch Zinsen (§§ 233 bis 237 AO) zählen. Dem Erlass von Nachforderungszinsen nach § 233a AO steht nicht entgegen, dass § 233a AO im Gegensatz zu § 234 Abs. 2 AO für Stundungszinsen und § 237 Abs. 4 AO für Aussetzungszinsen keine ausdrückliche Ermächtigung zu Billigkeitsmaß­nahmen enthält (vgl. BFH-Urteil vom 03.07.2014 ‑ III R 53/12, BFHE 246, 203, BStBl II 2017, 3, Rz 11, m.w.N.).

b) Die Entscheidung über den Erlass ist eine Ermessensentscheidung der Be­hörde und unterliegt deshalb gemäß § 102 FGO lediglich einer eingeschränk­ten gerichtlichen Kontrolle. Zu prüfen ist daher bei einer Erlassablehnung nur, ob die Finanzbehörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Er­messens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Er­mächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Im Einzelfall kann der Ermessensspielraum aber so eingeengt sein, dass nur eine Entschei­dung ermessensgerecht ist (sogenannte Ermessensreduzierung auf null). Ist nur der Erlass eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis ermessensge­recht, kann das Gericht gemäß § 101 Satz 1 FGO die Verpflichtung zum Erlass aussprechen (vgl. Senatsurteil vom 08.10.2013 ‑ X R 3/10, BFH/NV 2014, 5, Rz 10 f.).

c) Eine Unbilligkeit aus sachlichen Gründen ist nach ständiger BFH-Rechtspre­chung dann anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht (mehr) zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Das setzt voraus, dass der Gesetzgeber eine andere Regelung getroffen hätte, wenn er die zu beurteilende Frage als regelungsbe­dürftig erkannt hätte. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, können keinen Billigkeitserlass rechtfertigen. Die Billigkeitsprüfung darf die generelle Gel­tungsanordnung des den Steueranspruch begründenden Gesetzes nicht unter­laufen, sich andererseits auch nicht in Überlegungen zur richtigen Rechtsan­wendung erschöpfen, da dann ein auf sachliche Billigkeitsgründe gestützter Er­lass nach § 227 AO niemals möglich wäre. Diese Grundsätze gelten auch für den Erlass nach § 233a AO festgesetzter Zinsen (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 15, m.w.N.).

d) Zweck der Regelungen in § 233a AO ist es, einen Ausgleich dafür zu schaf­fen, dass die Steuern bei den einzelnen Steuerpflichtigen zwar jeweils spätes­tens zum Jahresende entstehen, aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten festge­setzt und fällig werden. Insoweit beruht die Vorschrift auf der zulässig typisie­renden Annahme, dass derjenige, dessen Steuer ganz oder zum Teil zu einem späteren Zeitpunkt festgesetzt wird, gegenüber demjenigen, dessen Steuer bereits frühzeitig festgesetzt wird, einen Liquiditäts- und damit auch einen po­tentiellen Zinsvorteil hat. Dieser Vorteil ist umso größer, je höher der nachzu­zahlende Betrag ist und je später die Steuer festgesetzt wird. Durch die Soll­verzinsung sollen der Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen und seine damit verbundene erhöhte steuerliche Leistungsfähigkeit abgeschöpft werden. Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich bestanden, ist grundsätzlich unbeachtlich. Daher greift die Regelung im Allgemeinen unabhängig davon, warum es zu ei­nem Unterschiedsbetrag gekommen ist und ob und inwiefern tatsächlich die Liquiditätsvorteile genutzt wurden (vgl. Nichtannahmebeschluss des BVerfG vom 03.09.2009 ‑ 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115, unter III.1.a bb (2) (b) und III.1.a cc; Senatsurteil vom 08.10.2013 ‑ X R 3/10, BFH/NV 2014, 5, Rz 14, m.w.N.).

2. Nach Maßgabe dessen hat das FG zu Recht eine fehlerhafte Ermessensaus­übung verneint. Die Entscheidung des FA, die Verzinsung sei nach den gesetz­lichen Wertungen auch im vorliegenden Fall nicht unbillig, da der Kläger durch die späte Festsetzung der Einkommensteuer die Möglichkeit der Kapitalnut­zung und daher einen Liquiditätsvorteil gehabt habe, lässt Ermessensfehler nicht erkennen.

a) Das FG hat diesbezüglich darauf hingewiesen, dass im Streitfall bei typisie­render Betrachtung ein im Rahmen des § 233a AO relevanter Liquiditäts- be­ziehungsweise Zinsvorteil entstanden sei. Insoweit gehe es sinngemäß nicht um eine ‑‑vom Kläger mangels Zugriffsmöglichkeit verneinte‑‑ mögliche Kapi­talnutzung der Nachlassgegenstände, sondern darum, dass der Kläger im Ver­gleich zu Steuerpflichtigen, deren Steuerfestsetzung für den jeweiligen Veran­lagungszeitraum zeitnah erfolgt sei, die zur Begleichung der Steuern erforder­lichen Mittel nicht schon früher, sondern erst im Jahr 2019 habe aufwenden müssen, so dass sie ihm zur anderweitigen Nutzung zur Verfügung gestanden hätten. Im Falle einer erforderlich werdenden Fremdfinanzierung der Steuer­mittel liege der Liquiditätsvorteil in der Vermeidung eines frühzeitigen Anfalls von Schuldzinsen.

b) Diese Wertung ist rechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Dabei ist zunächst festzustellen, dass die finanzgerichtliche Würdigung verfahrensfehlerfrei zustande gekommen ist. Denn auf der Grundlage des ‑‑insoweit maßgeblichen‑‑ Rechtsstandpunktes des FG (Senatsurteil vom 22.02.2023 ‑ X R 8/21, BFHE 280, 104, BStBl II 2023, 811, Rz 60) war eine weitere Sachaufklärung dahingehend, ob beziehungsweise inwieweit tatsäch­lich für den Kläger eine Nutzungsmöglichkeit des Nachlasses bestand, entbehr­lich.

bb) In der Sache entspricht es der höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass die faktische Freistellung von der Zahlung der materiell-rechtlich zutreffenden Steuer grundsätzlich die Festsetzung von Nachzahlungszinsen gemäß § 233a AO rechtfertigt, ohne dass es auf den Grund dieser Freistellung ankäme (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 26, m.w.N.).

cc) Nichts anderes gilt, wenn Einkünfte Gegenstand einer gesonderten Fest­stellung sind. Ergeht ein Feststellungsbescheid, ist der Einkommensteuerbe­scheid nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO anzupassen. Die Folgeänderung des Einkommensteuerbescheids löst die Zinspflicht nach § 233a AO aus, selbst wenn der Feststellungsbescheid nicht früher hätte ergehen können. Dies be­gründet ebenfalls keine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 227 AO, sondern entspricht den Wertungen des Gesetzes.

(1) Der Zinslauf ist auch dann nach Maßgabe von § 233a Abs. 2 AO zu berech­nen, wenn der Unterschiedsbetrag auf der Anpassung eines Einkommensteuer­bescheids an einen Grundlagenbescheid beruht. Nicht maßgebend ist, wann der Grundlagenbescheid ergeht. Der Beginn des Zinslaufs ist nach § 233a Abs. 2a AO nur hinausgeschoben, wenn die Änderung einer Steuerfestsetzung auf einem rückwirkenden Ereignis oder einem Verlustabzug beruht. Der Erlass eines Grundlagenbescheids ist aber kein rückwirkendes Ereignis, was etwa aus der ausdrücklichen Nichtnennung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO in § 233a Abs. 2a AO deutlich wird. Auch ein Grundlagenbescheid, der erst viele Jahre nach Ende des Veranlagungszeitraums erlassen oder geändert wird, kann da­her zu einer Zinspflicht unter Anwendung der Karenzzeit des § 233a Abs. 2 AO führen (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 29 f.).

(2) Eine Billigkeitskorrektur dieses Ergebnisses ist nicht geboten, sondern wi­derspräche dem gesetzgeberischen Konzept. Der Feststellungsbeteiligte ist ge­genüber dem Personenkreis des § 233a Abs. 2a AO nicht unangemessen be­nachteiligt. Anders als in jenen Fällen besteht im Allgemeinen die Möglichkeit, die in einem Grundlagenbescheid festzustellenden Besteuerungsgrundlagen bereits im Rahmen der Einkommensteuererklärung im Schätzungswege nach § 162 Abs. 5 AO anzugeben und nach § 155 Abs. 2 AO auch vor Erlass des Grundlagenbescheids der Besteuerung zugrunde zu legen (vgl. Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 31).

dd) In dem vorstehend genannten Urteil hat der Senat offengelassen, ob unter besonderen Umständen Billigkeitsmaßnahmen zu Gunsten eines Feststellungs­beteiligten angezeigt sein könnten, wenn eine sachgerechte Schätzung nach § 162 Abs. 5 AO Schwierigkeiten bereitet, die der Steuerpflichtige nicht zu vertreten hat (Senatsurteil vom 01.06.2016 ‑ X R 66/14, BFH/NV 2016, 1668, Rz 35). Er beantwortet diese Rechtsfrage ebenso wie das FG nunmehr dahin, dass allein derartige Schwierigkeiten einen Erlass nicht rechtfertigen.

(1) Der Gesetzgeber hat in § 233a AO stark typisierende Regelungen betref­fend den Zinslauf getroffen und die Verzinsung bei Grundlagenbescheiden ge­rade nicht der besonderen Regelung nach Abs. 2a dieser Vorschrift unterwor­fen. Diese gesetzgeberische Entscheidung darf durch Billigkeitsmaßnahmen nicht unterlaufen werden. Der unterschiedliche Beginn des Zinslaufs in § 233a Abs. 2 AO einerseits und in § 233a Abs. 2a AO andererseits beruht auf dem Gedanken, dass ein Verlustabzug oder ein rückwirkendes Ereignis zu Gunsten wie zu Lasten des Steuerpflichtigen bei der ursprünglichen Steuerfestsetzung noch nicht berücksichtigt werden konnte und daher weder der Steuerpflichtige noch das FA vor Eintritt des rückwirkenden Ereignisses beziehungsweise des Verlustes einen Liquiditätsvorteil oder ‑nachteil erlitten hat, den zu kompensie­ren das Ziel des § 233a AO wäre. Es erscheint daher nicht gerechtfertigt, ei­nen Nachzahlungs- oder Erstattungsanspruch, soweit er auf dem rückwirken­den Ereignis oder dem Verlustrücktrag beruht, schon für den Zeitraum vor Ein­tritt des rückwirkenden Ereignisses oder des Verlustes zu verzinsen (vgl. BFH-Urteil vom 17.02.2010 ‑ I R 52/09, BFHE 229, 1, BStBl II 2011, 340, Rz 14). Der Gesetzgeber geht mithin typisierend davon aus, dass es in den Fällen des Verlustabzugs oder rückwirkenden Ereignisses für den Rückwirkungszeitraum zu keinem Liquiditätsvorteil oder ‑nachteil kommen kann. Vor dem entspre­chenden Zeitpunkt haben die Voraussetzungen für eine entsprechende Steuer­festsetzung noch nicht vorgelegen.

(2) Diese Erwägung greift im Zusammenhang mit Grundlagenbescheiden nicht ein. Anfall und Umfang entsprechender Vor- beziehungsweise Nachteile hän­gen vom Zeitpunkt des Ergehens des Grundlagenbescheids ab. Dieser Zeit­punkt wiederum wird von zahlreichen, teilweise unwägbaren Faktoren beein­flusst, unter anderem davon, ob die Verfahrensbeteiligten um die Vorausset­zungen für den Erlass des Grundlagenbescheids wissen. Zu diesen Faktoren gehört aber nicht, dass die Voraussetzungen für den Erlass des Grundlagenbe­scheids in der Sache noch nicht vorlägen, sofern nicht der Grundlagenbescheid selbst auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO be­ruht. Die unterschiedslos und ohne konkrete Prüfung des Einzelfalls angeord­nete Verzinsung der im anzupassenden Folgebescheid festgesetzten Einkom­mensteuer gleicht daher lediglich im Wege der Typisierung die Zinsvorteile aus, die durch die geschilderten Unwägbarkeiten entstehen. Dabei konnte der Gesetzgeber ‑‑wie vom FG zutreffend hervorgehoben‑‑ davon ausgehen, dass bei Grundlagenbescheiden eine frühere Festsetzung nicht schon verfahrens- und materiell-rechtlich ausgeschlossen ist. Hierin liegt der wesentliche Unter­schied zu den Fällen des § 233a Abs. 2a AO.

ee) Die Frage der grundsätzlichen Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Re­gelungen in § 233a AO stellt sich in diesem Zusammenhang nicht.

Denn Billigkeitsmaßnahmen ‑‑wie die hier in Rede stehende‑‑ dürfen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzge­bers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen. Daraus folgt, dass mit verfassungsrechtlich gebotenen Billigkeitsmaßnahmen nicht die Geltung des Gesetzes unterlaufen werden kann. Müssten solche Maßnahmen ein Ausmaß erreichen, dass sie die allgemeine Geltung des Gesetzes aufhöben, wäre das Gesetz als solches verfassungswidrig (vgl. Senatsbeschluss vom 19.05.2011 - X B 184/10, BFH/NV 2011, 1659, Rz 14).

Im Übrigen vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass die gesetzlichen Vorschriften im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes die Grenzen der zulässigen Typisierung (vgl. dazu BFH-Urteil vom 11.05.2023 ‑ III R 9/22, BFHE 280, 465, BStBl II 2023, 861, Rz 30) überschritten.

ff) Eine punktuelle Billigkeitskorrektur ist auch nicht zur Vermeidung einer Übermaßbesteuerung geboten (vgl. BFH-Urteil vom 06.11.2002 ‑ V R 75/01, BFHE 200, 26, BStBl II 2003, 115, unter II.6.).

(1) Zwar ist nach der Rechtsprechung des BFH für einen Ausgleich in Form ei­ner Verzinsung der Steuernachforderung kein Raum, wenn zweifelsfrei fest­steht, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hatte (vgl. Senatsbeschlüsse vom 30.10.2001 ‑ X B 147/01, BFH/NV 2002, 505, unter 4.b, m.w.N., und vom 14.01.2010 ‑ X B 64/09, BFH/NV 2010, 1233, Rz 17; anknüpfend an das von dem Kläger herangezoge­ne BFH-Urteil vom 11.07.1996 ‑ V R 18/95, BFHE 180, 524, BStBl II 1997, 259).

(2) Das steht aber nicht bereits dann fest, wenn ein Grundlagenbescheid aus Gründen jeglicher Art jenseits des § 233a Abs. 2a AO noch gar nicht ergehen konnte und auch eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen im Einzelfall nicht möglich ist. Der Liquiditätsvorteil, der dadurch entsteht, dass eine Schuld später zu zahlen ist, entsteht auch dann, wenn sie nicht früher hätte gezahlt werden können. Auf die Frage, ob die Grundlagenbescheide im Streitfall früher hätten ergehen können, kommt es daher nicht an. Aus welchem verfassungs­rechtlichen Grunde es dem Steuerpflichtigen stets möglich sein muss, die Ent­stehung von Nachzahlungszinsen durch sachgerechte Schätzung und (freiwil­lige) Zahlung der voraussichtlichen Steuerschuld zu vermeiden, andernfalls er ‑‑trotz des erlangten Liquiditätsvorteils‑‑ einen Anspruch auf einen Erlass dieser Zinsen haben sollte, erschließt sich dem erkennenden Senat nicht.

(3) Es kommt deshalb nicht darauf an, ob dem FA, wie der Kläger behauptet, ein (grobes) Verschulden im Hinblick auf den späten Erlass der Grundlagenbe­scheide trifft. Ein Verschulden ist für Zwecke des § 233a AO ‑‑wie das FG im angefochtenen Urteil zutreffend ausführt‑‑ ohnehin auf beiden Seiten des Steuerschuldverhältnisses prinzipiell irrelevant (vgl. BFH-Beschluss vom 01.09.2008 ‑ IV B 137/07, BFH/NV 2009, 200, unter II.3.a). Vor diesem Hin­tergrund bestand für das FG keine Veranlassung, auf diesen ‑‑vom Kläger erstmals im Rahmen des Revisionsverfahrens geäußerten‑‑ Gesichtspunkt von sich aus einzugehen.

gg) Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Vorbringen des Klägers, die Erbscheinerteilung stelle ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar. Ob die Zinsen nach § 233a Abs. 2 AO oder nach § 233a Abs. 2a AO zu berechnen sind, ist eine Frage der materiell-rechtlichen Richtig­keit der Zinsfestsetzung, nicht hingegen der Billigkeit, und kann deshalb im Er­lassverfahren nicht verfolgt werden.

Der Senat merkt lediglich ergänzend an, dass die Entscheidung darüber, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt, im Streitfall auch nicht im Verfahren be­treffend die Zinsfestsetzung, sondern im Verfahren über die Grundlagenbe­scheide zu treffen wäre.

(1) Nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, auf­zuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Diese Regelung greift ‑‑wie der Kläger selbst erkennt‑‑ vorliegend unmittelbar nicht ein. Der Steuerbescheid, hier der Einkommensteuerbescheid, der seinerseits Grundlage der Verzinsung ist, wurde nicht auf dieser Rechtsgrundlage, sondern aufgrund der Bindungswirkung des geänderten Grundlagenbescheids angepasst. Käme es darauf an, wäre ein Fall des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO gegeben.

(2) Allerdings knüpft der für die Verzinsung maßgebliche § 233a Abs. 2a AO nicht unmittelbar an die Voraussetzungen der Korrekturnorm, sondern daran an, ob die Steuerfestsetzung auf der "Berücksichtigung" eines rückwirkenden Ereignisses (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO) "beruht". Die Bezug­nahme auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 AO in dem in § 233a Abs. 2a AO enthaltenen Klammerzusatz betrifft nur die Frage, ob ein rückwirkendes Ereignis vorliegt; sie bedeutet nicht, dass auch die verfahrensrechtlichen Er­fordernisse dieser Vorschriften erfüllt sein müssten (vgl. BFH-Urteile vom 18.05.1999 ‑ I R 60/98, BFHE 188, 542, BStBl II 1999, 634, unter II.2.a cc; vom 12.07.2017 ‑ I R 86/15, BFHE 259, 200, BStBl II 2018, 138, Rz 16; Klein/Werth, AO, 18. Aufl., § 233a Rz 31; BeckOK AO/Oosterkamp, 29. Ed. 24.07.2024, AO § 233a Rz 27).

(3) Soweit das Wort "beruht" als Ursächlichkeit im weiteren Sinne dahinge­hend verstanden werden könnte, dass es für die Anwendung des § 233a Abs. 2a AO genügte, wenn das rückwirkende Ereignis ‑‑über einen Grundla­genbescheid vermittelt‑‑ (mittelbar) bei der Steuerfestsetzung im Folgebe­scheid berücksichtigt wird, lägen vorliegend aber die verfahrensrechtlichen Vo­raussetzungen dafür nicht vor.

(a) Es kann offenbleiben, ob die (erstmalige beziehungsweise nachträgliche) Erbscheinerteilung überhaupt ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt (so FG München, Urteil vom 28.06.1990 ‑ 10 K 10070/87, EFG 1991, 5, unter 1., für die Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer; BFH-Urteil vom 29.05.2008 ‑ IX R 46/06, BFH/NV 2008, 1479, unter II.2., für die Einkommensteuer, ohne Begründung) oder nur zur Änderung nach § 173 AO wegen Vorliegens eines neuen Beweismittels be­rechtigt (vgl. Frotscher in Schwarz/Pahlke/Keß, AO/FGO, § 175 AO Rz 97; Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 8. Aufl., § 3 Rz 102 f.). Der Senat neigt inso­weit jedoch der Auffassung zu, dass sich die einkommensteuerrechtliche Zu­rechnung der Einkünfte aus dem (materiellen) Erbrecht ergibt, sich also da­nach richtet, wer tatsächlich Erbe geworden ist. Da der Erbschein lediglich eine starke Vermutung begründet (vgl. § 2365 BGB), besteht auch keine strikte Bindung der Finanzbehörden an den Inhalt des Erbscheins (vgl. BFH-Urteil vom 22.11.1995 ‑ II R 89/93, BFHE 179, 436, BStBl II 1996, 242, unter II.1.).

(b) Die Entscheidung darüber, ob die Änderung eines Gewinnfeststellungsbe­scheids auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und damit zugleich auch auf einem rückwirkenden Ereignis im Sinne von § 233a Abs. 2a AO beruht, wäre jedoch im Feststellungsverfahren ‑‑erfor­derlichenfalls durch den Erlass eines Ergänzungsbescheids (§ 179 Abs. 3 AO)‑‑ zu treffen (vgl. BFH-Urteil vom 19.03.2009 ‑ IV R 20/08, BFHE 225, 292, BStBl II 2010, 528, unter II.2.a bb; Heuermann in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 233a AO Rz 113). Eine entsprechende Feststellung ist im Streitfall nicht getroffen worden. Ob dies noch möglich ist, braucht der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu klären.

hh) Der begehrte Erlass ist auch nicht wegen der Höhe des Zinssatzes zu ge­währen. Den verfassungsrechtlichen Zweifeln hieran hat das BVerfG zwischen­zeitlich durch den Beschluss vom 08.07.2021 ‑ 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 (BVerfGE 158, 282) Rechnung getragen. Die Zinsbescheide sind entsprechend geändert worden. Es besteht weder Raum noch Anlass für eine weitere Reduk­tion im Billigkeitswege.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Erledigt sich der Rechtsstreit, der wegen des Billigkeitserlasses geführt wird, dadurch, dass der den streitigen Anspruch regelnde Steuerbescheid aus Rechtsgründen aufgehoben oder geändert wird, so ist in der dann gemäß den § 143 Abs. 1, § 138 Abs. 1 FGO zu treffenden Entscheidung über die Kosten des die Verpflichtungsklage betreffenden Verfahrens der Rechtsgedanke des § 138 Abs. 2 FGO anwendbar (vgl. von Groll in HHSp, § 227 AO Rz 401; BFH-Beschluss vom 24.06.1986 ‑ III R 293/84, BFH/NV 1986, 760, unter 3.).

Vorliegend hat der Kläger allerdings ‑‑wie oben dargelegt‑‑ trotz ausdrückli­chen Hinweises des Senats, den Revisionsantrag an die geänderten Zinsfest­setzungen für 2012 und 2013 anzupassen, an dem ursprünglichen Erlassbe­gehren in vollem Umfang festgehalten, ohne den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

Dem Senat ist es daher verwehrt, bei der Kostenentscheidung ‑‑dem Rechts­gedanken des § 138 Abs. 2 FGO entsprechend‑‑ zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass das FA mit der Minderung der Zinsfestsetzungen dem Begehren des Klägers teilweise der Sache nach entsprochen hat. Auch insoweit können daher die Kosten des Revisionsverfahrens nicht dem FA auferlegt wer­den.

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