33. Sitzung des Stabilitätsrates am 7. Oktober 2025
Deutschland muss die öffentlichen Haushalte auf allen Ebenen konsolidieren, um die Tragfähigkeit zu sichern
Bundesministerium der Finanzen, Pressemitteilung vom 7.10.2025
Der Stabilitätsrat tagte am 7. Oktober 2025 unter dem Vorsitz des Ministers der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Marcus Optendrenk, und des Staatssekretärs Dr. Rolf Bösinger in Vertretung für den Bundesminister der Finanzen.
Der Stabilitätsrat hat in dieser Sitzung eine gesamtstaatliche Fiskalprojektion für die Jahre 2025 bis 2029 vorgelegt und mit dem unabhängigen Beirat des Stabilitätsrates diskutiert. Erstmals waren dabei die gesamtstaatlichen Nettoausgaben die zentrale Kontrollgröße. Mit der im letzten Jahr beschlossenen Reform des Stabilitäts- und Wachstumspakts wurden sie als zentraler europäischer fiskalpolitischer Indikator etabliert und ersetzen den gesamtstaatlichen strukturellen Finanzierungssaldo als mittelfristige Zielgröße.
Im Juli hatte die Bundesregierung bei der Europäischen Kommission ihren mittelfristigen finanzpolitisch-strukturellen Plan (FSP) für Deutschland eingereicht. Darin wird die Obergrenze für das zulässige Nettoausgabenwachstum in den kommenden Jahren festgelegt. Bei Festlegung des einzuhaltenden Nettoausgabenpfads wurden Flexibilitäten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes (SWP) genutzt, so dass der vorgeschlagene Pfad zunächst eine höhere Nettoausgabendynamik ermöglicht, der eine sukzessiv einsetzende strukturelle Konsolidierung folgt. Die Europäische Kommission hat dem Rat der Europäischen Union empfohlen, sowohl den deutschen FSP unverändert zu billigen als auch dem Antrag Deutschlands auf Aktivierung der Nationalen Ausweichklausel (NEC) für den Aufwuchs von Verteidigungsausgaben stattzugeben.
Nettoausgabenpfad wird voraussichtlich eingehalten – aber bedenkliche Entwicklung bei Defiziten und Schuldenstandsquote
Die Fiskalprojektion geht für das laufende Jahr von einem Nettoausgabenwachstum von 4 % aus. Nach einem weiteren Anstieg im kommenden Jahr auf 5 ¼ % wird erwartet, dass die Nettoausgaben in den Jahren 2027 bis 2029 nur noch moderat zunehmen (jährlich um rund 1 ½ % bis 1 ¾ %). Die NEC erlaubt es, das Wachstum der Nettoausgaben um verteidigungspolitische Ausgaben zu bereinigen. Der Stabilitätsrat stellt fest, dass über den gesamten Projektionszeitraum hinweg der Nettoausgabenpfad unter Berücksichtigung der NEC insgesamt eingehalten werden dürfte. Dies setzt allerdings voraus, dass die in den Planungen enthaltenen extrem hohen Handlungsbedarfe bei Bund und Ländern aufgelöst werden können. Für die Einhaltung des Nettoausgabenpfades ist von zentraler Bedeutung, dass Maßnahmen umgesetzt werden, die das Potenzialwachstum erhöhen, das Ausgabenwachstum des Staates begrenzen und Einnahmepotenziale ausschöpfen.
Der Stabilitätsrat hat zudem geprüft, wie sich das gesamtstaatliche Defizit und die gesamtstaatliche Schuldenstandsquote entwickeln könnten. Diese Kriterien sind trotz der Nettoausgaben als neue zentrale Kenngröße der europäischen Haushaltsüberwachung weiterhin relevant. Bis zum Jahr 2026 könnte die gesamtstaatliche Defizitquote bis auf 4 ¾ % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen, bevor sie wieder sinkt und im Jahr 2029 3 ¾ % des BIP ausmachen könnte. Unter Berücksichtigung der NEC, auch bei einer angenommenen Verlängerung für das Jahr 2029, dürfte die Defizitquote ihre maximal zulässige Höhe von 3 % des BIP mit Ausnahme der Jahre 2026 und 2027 einhalten. Die Überschreitung könnte in späteren Jahren negative Auswirkungen auf die Einhaltung der europäischen Fiskalregeln haben. Die Maastricht-Schuldenquote könnte bis zum Ende des Projektionszeitraums im Jahr 2029 auf rund 80 ¼ % des BIP ansteigen. Damit läge diese Kenngröße spürbar über dem zulässigen Referenzwert von 60 %. Der Stabilitätsrat betrachtet die Ergebnisse dieser Projektion mit Sorge.
Die Mitglieder des Stabilitätsrats waren sich einig, dass eine derart dynamische Entwicklung des Schuldenstandes relativ zur Wirtschaftsleistung, wenn sie sich fortsetzte, die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen gefährdet.
Um einer solchen Entwicklung entgegenzuwirken, hält der Stabilitätsrat daher sowohl konsequente Konsolidierungsmaßnahmen aller staatlicher Ebenen als auch umfangreiche Strukturreformen sowie einen investiven und wachstumsstärkenden Einsatz der Mittel des Sondervermögens Infrastruktur und Klimaneutralität für dringend erforderlich. Für die Konsolidierung müssten zeitnah alle Möglichkeiten sowohl auf der Einnahmen-, als auch auf der Ausgabenseite in Betracht gezogen und auch nicht disponible Mittel auf den Prüfstand gestellt werden. Ausgaben mit Zukunftsorientierung und zur Stärkung des Potenzialwachstums seien zu priorisieren, andere Ausgaben hinsichtlich ihrer Erforderlichkeit zu überprüfen.
Bundesminister der Finanzen, Lars Klingbeil:
„Die Analysen des Stabilitätsrates zeigen klar: Wir stehen vor einer großen gemeinsamen Aufgabe. Es geht darum, Deutschland wieder auf einen stabilen und nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Dafür investieren wir in Bildung, Verkehr, Digitalisierung, Gesundheit, Klimaschutz und moderne Infrastruktur in allen Bereichen unseres Landes. Das schafft Wachstum, sichert Arbeitsplätze und fördert die Modernisierung Deutschlands. Unser Land ist auf eine moderne und leistungsfähige Infrastruktur angewiesen. Gerade im Interesse künftiger Generationen müssen wir in Zukunftsfähigkeit, wirtschaftliche Stärke und Sicherheit investieren und gleichzeitig solide öffentliche Finanzen sicherstellen. Bund und Länder stehen vor der Herausforderung, ihre Haushalte zu konsolidieren. Das bedeutet, wir müssen Prioritäten setzen und im Haushalt deutliche Einsparungen vornehmen. Wir arbeiten dafür an einem ausgewogenen Maßnahmenpaket, das Gerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.“
Der Minister der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Dr. Marcus Optendrenk:
„Der erwartete Anstieg der Schuldenstandsquote von 62 auf über 80 Prozent des BIP in nur vier Jahren ist besorgniserregend. Eine Fortsetzung dieser Entwicklung wäre nicht enkelgerecht und gefährdet die langfristige Tragfähigkeit unserer öffentlichen Finanzen.
Gleichzeitig brauchen wir dringend zukunftsnützliche Investitionen, um mehr Transformation, Wachstum und Sicherheit zu ermöglichen. Aufgabe der Politik in Bund und Ländern ist es deshalb, gemeinsam und verantwortungsvoll Wege zu finden, die Schuldenstandsquote zu senken und zugleich Anreize für Investitionen zu setzen, die unser Land stark und zukunftsfest machen.“
Die Ministerin für Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz, Doris Ahnen:
„Der Nettoausgabenpfad für Deutschland zeigt, dass die im neuen europäischen Fiskalrahmen vorgesehenen Flexibilitäten sinnvoll genutzt werden können, um aktuellen Herausforderungen wirksam zu begegnen. Jetzt kommt es darauf an, die Mittel aus dem Sondervermögen zügig und unbürokratisch für zentrale Zukunftsinvestitionen einzusetzen – insbesondere in den Bereichen Infrastruktur, Bildung, Klimaschutz und Digitalisierung. Die Stärkung der Investitionen ist ein Schlüssel, um das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft zu erhöhen und damit auch die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen dauerhaft sicherzustellen.“
Der Beirat stimmt dem Stabilitätsrat zu, dass die Finanzpolitik vor erheblichen Herausforderungen steht und in den kommenden Jahren umfangreiche Konsolidierungsmaßnahmen nötig sind. Auch unterstützt der Beirat Forderungen nach einer Stärkung des Wachstumspotenzials. Kritisch sieht der Beirat einige technische Annahmen, die der Fiskalprojektion zugrunde liegen. Der Beirat sieht Risiken für die künftige Einhaltung der europäischen Regeln und Stabilitätskriterien, die solide Staatsfinanzen sicherstellen sollen.
Anpassung der Schuldenbremsenüberwachung im Stabilitätsrat an die Grundgesetzänderungen vom März 2025
Neben der Finanzprojektion hat der Stabilitätsrat in dieser Sitzung eine Änderung seines Kompendiums zur Überwachung der Schuldenbremse beschlossen. Hierbei wurde das System an die Grundgesetzänderungen vom März 2025 angepasst: Die Länder können einen strukturellen Verschuldungsspielraum von 0,35 % des BIP nutzen. Für den Bund wurde eine Bereichsausnahme von der Schuldenbremse für die Verteidigungsausgaben geschaffen.
Die Beschlüsse und die Beratungsunterlagen werden veröffentlicht unter: www.stabilitaetsrat.de.