KStG § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1
Vorinstanz: Schleswig-Holsteinisches FG vom 6.6.2019, 1 K 113/17 = SIS 19 14 33
I. Die Beteiligten streiten über die tatsächliche Durchführung eines Gewinnabführungsvertrags und die damit zusammenhängende Anerkennung einer körperschaftsteuerrechtlichen Organschaft in den Jahren 2009 bis 2012 (Streitjahre).
Die B‑GmbH erwarb am ….2008 mit Wirkung zum ….2008 sämtliche Geschäftsanteile an der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), einer GmbH. Zugleich schloss die B‑GmbH mit der Klägerin einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag (EAV) ab. Darin verpflichtete sich die Klägerin, ihren gesamten Jahresüberschuss an die B‑GmbH abzuführen. Im Gegenzug verpflichtete sich die B‑GmbH, jeden während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrag der Klägerin entsprechend § 302 des Aktiengesetzes (AktG) auszugleichen. Nach Aktenlage und übereinstimmender Auffassung der Beteiligten galt der EAV ‑‑abweichend von den (nicht entscheidungserheblichen) Angaben in der Vorentscheidung‑‑ für die Zeit ab 01.01.2009; er war nicht vor Ablauf von fünf Jahren seit seinem Wirksamwerden kündbar.
Die Klägerin wies in ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2008 einen handelsrechtlichen Verlustvortrag von … € aus. Für die Streitjahre erwirtschaftete sie jeweils Gewinne. Die jeweiligen Körperschaftsteuererklärungen enthielten in Zeile 2 der Anlage ORG einen Hinweis auf die B‑GmbH als Organträgerin; außerdem wurde in Zeile 28 die Zurechnung der Jahresüberschüsse zur B‑GmbH als Organträgerin erklärt.
Für das Jahr 2013 ergab sich für die Klägerin ein Verlust von … €. Die Angaben in der Körperschaftsteuererklärung wurden entsprechend der Vorjahre vorgenommen. In Zeile 21 der Anlage ORG ("Vom Organträger an die Organgesellschaft zum Ausgleich eines sonst entstehenden Jahresfehlbetrages zu leistender Betrag") nahm die Klägerin keine Eintragung vor.
Die Bilanz zum 31.12.2013 wurde am 10.11.2014 erstellt; eine Forderung der Klägerin gegenüber der B‑GmbH war nicht berücksichtigt. Allerdings wies der Steuerberater der Klägerin in seinem Bericht über die Erstellung des Jahresabschlusses zum 31.12.2013 unter "Rechtliche Verhältnisse" und in einem an die Klägerin gerichteten Begleitschreiben vom 20.11.2014 darauf hin, dass der Verlust nach dem EAV von der B‑GmbH zu erstatten sei. Am 11.02.2015 zahlte die B‑GmbH unter Angabe eines entsprechenden Überweisungszwecks … € an die Klägerin.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt ‑‑FA‑‑) veranlagte die Klägerin für die Streitjahre zunächst erklärungsgemäß. Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 der Abgabenordnung ‑‑AO‑‑).
Im Anschluss an eine im Jahr 2016 durchgeführte Außenprüfung erließ das FA für die Streitjahre die Änderungsbescheide vom 26.07.2016 über Körperschaftsteuer, über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 des Körperschaftsteuergesetzes in der für die Streitjahre geltenden Fassung (KStG) und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer, die es für das Jahr 2009 auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO und für die Jahre 2010 bis 2012 auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO sowie § 164 Abs. 2 AO stützte. Die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft sei mangels tatsächlicher Durchführung nicht anzuerkennen, da der Anspruch der Klägerin auf Ausgleich des im Jahr 2013 erwirtschafteten Verlusts weder bei der Klägerin noch bei der B‑GmbH bilanziell berücksichtigt worden sei. Die Einsprüche der Klägerin wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom 22.11.2017 zurück.
Die hiergegen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg. Das Schleswig-Holsteinische Finanzgericht (FG) wies sie hinsichtlich der geänderten Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 27 Abs. 2 und § 28 Abs. 1 Satz 3 KStG mit Urteil vom 06.06.2019 ‑ 1 K 113/17 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1714) als unzulässig ab. Im Übrigen hat es die Klage als unbegründet abgewiesen. Die körperschaftsteuerrechtliche Organschaft sei für sämtliche Streitjahre nicht anzuerkennen, da der EAV jedenfalls für das Jahr 2013 und damit innerhalb der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren nicht tatsächlich durchgeführt worden sei (§ 17 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG). Die tatsächliche Durchführung eines EAV vollziehe sich in zwei Stufen: Zunächst seien die entsprechenden Forderungen/Verbindlichkeiten aus dem EAV sowohl bei der Organträgerin als auch bei der Organgesellschaft bilanziell auszuweisen (im Fall eines Verlustausgleichs nach § 277 Abs. 3 Satz 2 des Handelsgesetzbuchs ‑‑HGB‑‑ Verbuchung in der Gewinn- und Verlustrechnung der Organgesellschaft unter dem Posten "Erträge aufgrund eines Gewinnabführungsvertrags"). Auf der zweiten Stufe folge die Erfüllung. Im Streitfall fehle bereits die Grundvoraussetzung der bilanziellen Erfassung.
Die Klägerin macht mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Körperschaftsteuerbescheide 2009 bis 2012 vom 26.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.11.2017 dahin zu ändern, dass für die Klägerin ‑‑ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen von 0 €‑‑ jeweils eine Körperschaftsteuer von 0 € festgesetzt wird, sowie die geänderten Bescheide über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer für die Streitjahre vom 26.07.2016 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 22.11.2017 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das FG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Einkünfte sind steuerrechtlich der Klägerin zuzurechnen, da wegen fehlender tatsächlicher Durchführung des EAV für die Streitjahre eine körperschaftsteuerrechtliche Organschaft zwischen der Klägerin als Organgesellschaft und der B‑GmbH als Organträgerin nicht anzuerkennen ist.
Sofern sich eine andere als die in § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG bezeichnete Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland ‑‑und damit auch eine inländische GmbH wie die Klägerin‑‑ wirksam verpflichtet, ihren ganzen Gewinn an ein anderes Unternehmen i.S. des § 14 KStG abzuführen, gelten nach § 17 Satz 1 KStG die §§ 14 bis 16 KStG entsprechend. Darüber hinaus sind die zusätzlichen Voraussetzungen des § 17 Satz 2 KStG zu berücksichtigen.
Nicht ausdrücklich entschieden ist bisher, zu welchem Zeitpunkt die tatsächliche Zahlung/Verrechnung erfolgen muss. Während ein Teil der Literatur der Auffassung ist, dass dies innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Schluss des entsprechenden Wirtschaftsjahres geschehen muss, lässt ein anderer Teil der Literatur eine tatsächliche Zahlung/Verrechnung innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Ende der Organschaft ausreichen (zum Streitstand Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 138; Brink in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl., § 14 Rz 482; Neumann in Gosch, KStG, 4. Aufl., § 14 Rz 318c, jeweils m.w.N.).
Dem kann nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass § 14 KStG auf den nach handelsrechtlichen Bilanzierungsgrundsätzen zutreffenden Gewinn abstelle, aber nicht auf die handelsbilanziellen Formalien und damit auch nicht auf die Ausweisvorschriften nach § 266 Abs. 2 Nr. B.II.2. HGB und § 277 Abs. 3 Satz 2 HGB (so aber Binnewies/Mühling, AG 2020, 176, 177). Dies beruht zum einen auf dem vom Gesetzgeber verfolgten Ziel, Manipulationen zu verhindern: Die Organschaft soll nicht zum Zwecke der willkürlichen Beeinflussung der Besteuerung und zu Einkommensverlagerungen von Fall zu Fall abgeschlossen bzw. beendet werden können (Senatsurteile in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30; vom 10.05.2017 ‑ I R 19/15, BFHE 258, 344, BStBl II 2019, 81, jeweils m.w.N.). Dieser Gesichtspunkt hat dabei nicht (erst) im Rahmen der tatsächlichen Erfüllung der zivilrechtlichen Pflichten aus dem EAV Bedeutung, sondern erfordert auch, dass diese Pflichten schon vor ihrer Erfüllung durch eine entsprechende Bilanzierung objektiv erkennbar anerkannt werden. Zum anderen handelt es sich bei den Regelungen über die Organschaft um eine Ausnahme vom steuerrechtlichen Grundprinzip der getrennten Besteuerung der einzelnen Steuersubjekte, so dass eine strenge Auslegung der vom Gesetzgeber hierfür vorgegebenen Anforderungen geboten ist (vgl. auch Senatsurteil vom 03.03.2010 ‑ I R 68/09, BFH/NV 2010, 1132).
a) Die Klägerin hat im Jahr 2013 einen Verlust erzielt, ohne ihren aus dem EAV folgenden Verlustausgleichsanspruch gegen die Organträgerin (B‑GmbH) in der Bilanz zum 31.12.2013 zu aktivieren. Der Verlustausgleichsanspruch wird lediglich in einem Bericht des Steuerberaters über die Erstellung des Jahresabschlusses sowie einem Begleitschreiben an die Klägerin erwähnt.
b) Ob der tatsächliche Ausgleich des Jahresfehlbetrags 2013 durch die B‑GmbH am 11.02.2015 noch rechtzeitig war, kann unter diesen Umständen dahingestellt bleiben. Die Nichtdurchführung des EAV folgt jedenfalls aus der fehlenden Buchung einer entsprechenden Forderung der Klägerin in ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2013. Die Hinweise in internen Berichten und Begleitschreiben auf den Verlustausgleichsanspruch reichen nicht aus, um den EAV "zu leben" und die daraus resultierenden Vertragspflichten objektiv erkennbar anzuerkennen. Entsprechendes gilt für die Angaben in der Anlage ORG der Steuererklärung, zumal sie nach den Feststellungen des FG unvollständig waren (kein Eintrag in Zeile 21 der Anlage ORG).
c) Darüber hinaus hat das FG zutreffend die Voraussetzungen einer sog. Heilung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 4 KStG verneint. Nach dieser Regelung gilt der Gewinnabführungsvertrag unter bestimmten, dort aufgeführten Voraussetzungen auch dann als durchgeführt, wenn der abgeführte Gewinn oder ausgeglichene Verlust auf einem Jahresabschluss beruht, der fehlerhafte Bilanzansätze enthält. Der Anwendungsbereich ist nach diesem Wortlaut aber auf fehlerhafte Bilanzansätze mit einer Wirkung auf den abgeführten Gewinn oder ausgeglichenen Verlust beschränkt und bezieht sich auf die Höhe des abzuführenden Gewinns oder auszugleichenden Verlusts. Nicht erfasst ist dagegen der fehlerhafte Ausweis eines in der Organgesellschaft verbleibenden Gewinns oder Verlusts durch den unterlassenen Ausweis einer Forderung (Verlustausgleichsanspruch) oder einer Verbindlichkeit (Gewinnabführungsverpflichtung) der Organgesellschaft auf der Grundlage des EAV.
d) Ob und inwieweit aus Gründen der Verhältnismäßigkeit geringfügige Unregelmäßigkeiten bei der Vertragsdurchführung unschädlich sein können (zum Streitstand Brandis/Heuermann/Krumm, § 14 KStG Rz 147, m.w.N.; ablehnend Neumann in Gosch, a.a.O., § 14 Rz 310), muss im Streitfall ebenfalls nicht entschieden werden. Wenn die Durchführung des EAV nicht durch die Buchung der daraus resultierenden Forderungen/Verbindlichkeiten im Jahresabschluss erkennbar wird, handelt es sich unabhängig von der betragsmäßigen Höhe der Forderung/Verbindlichkeit jedenfalls nicht um eine nur geringfügige Unregelmäßigkeit (a.A. Walter in Bott/Walter, KStG, § 14 Rz 649.1).
5. Schließlich hat das FG zutreffend entschieden, dass die Nichtdurchführung des EAV für das Jahr 2013 für sämtliche Streitjahre zur rückwirkenden Nichtanerkennung der Organschaft führt.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats (Urteil in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30) wird § 14 KStG nicht von einem allgemeinen Grundsatz getragen, dass sämtliche Erfordernisse einer Organschaft während der gesamten Vertragslaufzeit des EAV vorliegen müssten. Vielmehr ist auch während der Mindestvertragslaufzeit des EAV grundsätzlich eine "Unterbrechung der Organschaft" für einzelne Veranlagungszeiträume denkbar. Dies hat der Senat zum einen für die Voraussetzung der gewerblichen Tätigkeit einer Organträger-Personengesellschaft (Senatsurteil vom 24.07.2013 ‑ I R 40/12, BFHE 242, 139, BStBl II 2014, 272) und zum anderen für die Voraussetzung der finanziellen Eingliederung (Senatsurteil in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30) anerkannt.
b) Die für den Streitfall maßgebliche Regelung des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG sieht jedoch vor, dass der EAV auf mindestens fünf Jahre abgeschlossen und "während seiner gesamten Geltungsdauer" durchgeführt werden muss.
Aufgrund des systematischen Zusammenhangs mit der Regelung der Mindestvertragslaufzeit kann daraus zwar nicht geschlossen werden, dass die Nichtdurchführung des EAV in einem Veranlagungszeitraum nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit zu einer rückwirkenden Nichtanerkennung der Organschaft seit Vertragsbeginn führt (Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 14 Rz 322). Der Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Satz 1 KStG macht aber deutlich, dass eine Nichtdurchführung des EAV während der Mindestvertragslaufzeit die Organschaft insgesamt entfallen lässt (Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 491). Dies lässt sich auch dem Senatsurteil in BFHE 258, 351, BStBl II 2018, 30 entnehmen, da sich die dortigen Ausführungen zu einer etwaigen Unterbrechung der Organschaft nicht auf die Mindestvertragslaufzeit des EAV und die Durchführung des EAV während der Mindestvertragslaufzeit beziehen (vgl. auch Prinz/Keller, Der Betrieb 2018, 400, 403 f.; Walter, GmbHR 2017, 1222; Weiss, GmbH-Steuerberater 2018, 86, 89; zur Anwendung im Fall der Insolvenz vgl. das Senatsurteil vom 02.11.2022 ‑ I R 29/19, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).
c) Im Streitfall ist der EAV mit Wirkung ab dem 01.01.2009 abgeschlossen worden. Die Nichtdurchführung des EAV für das Jahr 2013 liegt innerhalb der Mindestvertragslaufzeit von fünf Jahren und führt somit für sämtliche Streitjahre zur rückwirkenden Nichtanerkennung der Organschaft.Dass die für die Durchführung des EAV erforderlichen Maßnahmen (Buchung der Forderungen/Verbindlichkeiten sowie deren Erfüllung) erst in den Jahren ab 2014 und damit nach Ablauf der Mindestvertragslaufzeit vorzunehmen waren, ändert daran nichts. Das Kriterium der tatsächlichen Durchführung bezieht sich nicht auf die innerhalb eines bestimmten Zeitraums vorzunehmenden Maßnahmen, sondern auf diejenigen Maßnahmen, die zur Durchführung des EAV für den Zeitraum der Mindestvertragslaufzeit erforderlich sind (Brink in Schnitger/Fehrenbacher, a.a.O., § 14 Rz 488; Neumann in Gosch, a.a.O., § 14 Rz 318c; Rödder/Liekenbrock in Rödder/Herlinghaus/Neumann, a.a.O., § 14 Rz 322).