BFH: Entscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht

Über die Art und Weise der Akteneinsicht hat der Senat und nicht der Vorsit­zende Richter des FG zu entscheiden, soweit nicht der ab dem 01.01.2018 ge­setzlich geregelte Sonderfall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO für elek­tronisch geführte Akten vorliegt.

FGO § 78

BFH-Beschluss vom 7.6.2021, VIII B 123/20 (veröffentlicht am 19.8.2021)

Vorinstanz: FG Berlin-Brandenburg vom 2.10.2020, 5 K 5093/20

I.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hat Klage gegen die Gewerbesteu­ermessbescheide für die Jahre 2013 bis 2015 vor dem Finanzgericht (FG) erhoben. Mit Schreiben vom 19.08.2020 beantragte sein Prozessbevollmäch­tigter die Vorlage der in Papier geführten Verwaltungsakten, Betriebsprüfungs­akten, Rechtsbehelfsakten und Handakten "in einer gängigen elektronischen Form" in entsprechender Anwendung des Art. 15 Abs. 3 Satz 3 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.04.2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Da­ten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Da­tenschutz-Grundverordnung) ‑‑DSGVO‑‑ (Amtsblatt der Europäischen Union 2016, Nr. L 119, 1).

Der Vorsitzende des FG lehnte den Antrag des Klägers, die dem Gericht vorge­legten Akten des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt) in elektroni­scher Form zur Einsicht zur Verfügung zu stellen, mit Beschluss vom 02.10.2020 ab. Zur Begründung führte er aus, dass § 78 Abs. 2 der Finanzge­richtsordnung (FGO) nur dann Anwendung finde, wenn die Akten elektronisch geführt werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Würden die Prozessakten in Papierform geführt, so werde die Akteneinsicht nach § 78 Abs. 3 Satz 1 FGO durch Einsichtnahme in die Akten in den Diensträumen gewährt. Die Aktenein­sicht könne nach § 78 Abs. 3 Satz 2 FGO, soweit nicht wichtige Gründe entge­genstehen würden, auch durch Bereitstellung des Inhalts der Akten zum Abruf gewährt werden. Dies sei vorliegend nicht der Fall, da die technische Möglich­keit eines Abrufs von Daten beim FG Berlin-Brandenburg nicht existiere. Eine anderweitige Form der elektronischen Zurverfügungstellung des Inhalts der in Papierform geführten Akten sehe § 78 Abs. 3 FGO nicht vor. So enthalte die Regelung insbesondere keine dem § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO entsprechende Möglichkeit der Übermittlung eines Datenträgers. Wollte man diese Regelung für in Papierform geführte Akten entsprechend anwenden, so stünde die Übermittlung des Datenträgers im Ermessen des Vorsitzenden. Angesichts des Umfangs der Papierakten im vorliegenden Verfahren komme eine Digitalisie­rung durch Einscannen nicht in Betracht. Ohne Erfolg berufe sich der Kläger auf Art. 15 DSGVO, da diese Vorschrift keine Verpflichtung vorsehe, in Papier­form geführte Akten zum Zwecke der Einsichtnahme zu digitalisieren. In der Rechtsmittelbelehrung hat das FG darauf hingewiesen, dass der Beschluss nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO unanfechtbar sei.

Der Kläger legte gegen den Beschluss Beschwerde ein, die am 19.10.2020 beim FG einging. Er beruft sich hinsichtlich des Beschwerderechts auf Art. 79 Abs. 1 DSGVO. Sein Anspruch auf Akteneinsicht in elektronischer Form ergebe sich aus Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Die statthafte Beschwerde ist begründet.

1. Die Beschwerde ist statthaft.

a) Die Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht stellt keine pro­zessleitende Verfügung i.S. des § 128 Abs. 2 FGO dar, so dass eine Beschwer­de nicht ausgeschlossen ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 05.02.2003 ‑ V B 239/02, BFH/NV 2003, 800).

b) Entgegen der Auffassung des FG liegt auch kein Fall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO vor. Nach dieser Regelung ist die Entscheidung über einen An­trag nach § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO auf Übermittlung eines Aktenausdrucks oder eines Datenträgers mit dem Inhalt der Akten unanfechtbar. Vorliegend hat der Kläger seinen Antrag auf Akteneinsicht jedoch nicht auf § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO gestützt, sondern auf Art. 15 DSGVO. Zudem konnte er auch keinen An­trag nach § 78 Abs. 2 Satz 3 FGO stellen, da die Prozessakten nicht in elektro­nischer Form, sondern in Papierform geführt wurden. Form und Ort der Akten­einsicht und somit auch die Ausgestaltung des Antragsrechts werden ‑‑was das FG unberücksichtigt gelassen hat‑‑ durch § 78 Abs. 2 und Abs. 3 FGO in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung ausdrücklich danach geregelt, ob die Prozessakten elektronisch oder in Papierform geführt werden (BFH-Beschluss vom 06.09.2019 ‑ III B 38/19, BFH/NV 2020, 91, Rz 8). Danach findet der Ausschluss der Beschwerde nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 2 FGO keine Anwendung, wenn der Antrag auf Akteneinsicht sich auf Prozessakten bezieht, die ‑‑wie im vorliegenden Fall‑‑ in Papierform geführt werden.

2. Die Beschwerde des Klägers ist begründet. Das FG war nicht vor­schriftsmäßig besetzt. Die Entscheidung des FG leidet deshalb an einem i.S. des § 119 Nr. 1 FGO wesentlichen Verfahrensmangel (Rüsken in Gosch, FGO § 132 Rz 25; vgl. BFH-Beschluss vom 06.11.2006 ‑ II B 45/05, BFH/NV 2007, 466), der zur Aufhebung des angefochtenen FG-Beschlusses und zur Zurück­verweisung der Sache an das FG führt.

Das FG hat über den Antrag des Klägers, ihm die in Papierform geführten Pro­zessakten in elektronischer Form zur Verfügung zu stellen, verfahrensfehler­haft durch den Vorsitzenden und nicht nach § 5 Abs. 3 Satz 2 FGO durch den Senat des FG in der Besetzung mit drei Richtern entschieden. Danach war das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt, so dass der Beschluss for­mell rechtswidrig ist.

a) Über die Art und Weise der Akteneinsicht hat der Senat und nicht der Vor­sitzende Richter des FG zu entscheiden, soweit nicht der ab dem 01.01.2018 gesetzlich geregelte Sonderfall des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO für elektronisch geführte Akten vorliegt.

aa) Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Ablehnung der beantrag­ten Akteneinsicht ist ‑‑bis auf die seit dem 01.01.2018 eingeführte Regelung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 und Satz 6 FGO in Bezug auf die elektro­nisch geführte Prozessakte‑‑ gesetzlich nicht geregelt. Entscheidungen über die Akteneinsicht können danach ‑‑soweit nicht am FG gemäß § 6 FGO der Einzelrichter oder bei der elektronischen Akteneinsicht der Vorsitzende nach § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 FGO oder der Berichterstatter nach Satz 6 der Vorschrift zuständig ist‑‑ nach § 5 Abs. 3 FGO nur von dem Senat getroffen werden. An der Entscheidung über die Ablehnung der Akteneinsicht wirken danach drei Berufsrichter mit (§ 5 Abs. 3 Satz 2 FGO).

bb) Die Rechtsprechung des BFH, nach der dem (Senats‑)Vorsitzenden grund­sätzlich eine Ablehnungsbefugnis hinsichtlich der Art und Weise der Aktenein­sicht zusteht (s. z.B. BFH-Beschlüsse vom 03.12.1974 ‑ VII B 88/74, BFHE 114, 173, BStBl II 1975, 235; vom 23.09.1985 ‑ VI B 11/85, BFH/NV 1987, 374; vom 25.05.2004 ‑ IV B 110/02, juris; diese Rechtsprechung als nicht ab­schließend geklärt in Frage stellend BFH-Beschluss vom 05.05.2017 ‑ X B 36/17, BFH/NV 2017, 1183), ist jedenfalls seit der Einführung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1, Satz 6 FGO durch Art. 22 Nr. 8 Buchst. b des Geset­zes zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren För­derung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 05.07.2017 (BGBl I 2017, 2208) zum 01.01.2018 überholt. Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass der Vorsitzende des Senats stets ‑‑d.h. sowohl bei den in Papier und bei den elektronisch geführten Prozessakten‑‑ über die Art und Weise der Akten­einsicht entscheiden kann, hätte es der neu eingeführten Regelung des § 78 Abs. 2 Satz 5 Halbsatz 1 und Satz 6 FGO für die elektronisch geführten Pro­zessakten nicht bedurft. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass eine solche Zu­ständigkeit des Vorsitzenden nur nach § 78 Abs. 2 Satz 5 FGO für die elektro­nisch geführten Prozessakten besteht, mangels einer entsprechenden Rege­lung in § 78 Abs. 3 FGO jedoch nicht für die in Papierform geführten Prozess­akten, so dass es an einer gesetzlichen Grundlage für die Befugnis des Vorsit­zenden zur Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht bei den in Papierform geführten Prozessakten fehlt (so auch Thürmer in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, § 78 FGO Rz 137; Stalbold in Gosch, FGO § 78 Rz 56; kritisch auch Brandis in Tipke/Kruse, § 78 FGO Rz 20; Fu in Schwarz/Pahlke, FGO, § 78 Rz 76 ff.; wohl auch Bartone in: Kühn/v. Wedelstädt, 22. Aufl., FGO, § 78 Rz 6; anderer Ansicht Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 78 Rz 27; Gräber/Ratschow, a.a.O., § 128 Rz 5).

cc) Eine solche Befugnis ergibt sich auch nicht aus einer anderen Verfahrens­vorschrift. Bei der Entscheidung über die Art und Weise der Akteneinsicht han­delt es sich nicht um eine prozessleitende Verfügung i.S. des § 128 Abs. 2 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschluss in BFH/NV 2003, 800). Danach ergibt sich eine Entscheidungsbefugnis des Senatsvorsitzenden auch nicht aus § 79 Abs. 1 FGO, da diese Vorschrift nur in bestimmten Fällen zum Erlass von unanfechtbaren prozessleitenden Verfügungen ermächtigt. Es handelt sich auch nicht um eine Entscheidung, die von dem Vorsitzenden im vorbereitenden Verfahren nach § 79a FGO getroffen werden kann.

b) Danach hätte im vorliegenden Fall der Senat des FG über die Ablehnung der beantragten Akteneinsicht in die in Papierform geführten Prozessakten in einer "gängigen elektronischen Form" entscheiden müssen, so dass der Beschluss formell rechtswidrig und aufzuheben ist. Der Senat entscheidet nicht selbst über den Antrag des Klägers, sondern verweist die Sache an das FG zurück. Eine Zurückverweisung ist auch im Beschwerdeverfahren zulässig (BFH-Beschluss vom 23.07.2002 ‑ X B 209/01, BFH/NV 2002, 1487).

c) Für die Entscheidung im zweiten Rechtsgang, die von dem Senat des FG zu treffen ist, wird darauf hingewiesen, dass der Kläger den geltend gemachten Anspruch auf Akteneinsicht der in Papier geführten Prozessakten in einer "gängigen elektronischen Form" weder aus Art. 15 Abs. 3 Satz 3 DSGVO her­leiten kann (s. BFH-Beschluss vom 29.08.2019 ‑ X S 6/19, BFH/NV 2020, 25), noch eine Pflicht des FG besteht, Behördenakten zu digitalisieren (BFH-Beschluss in BFH/NV 2020, 91; Senatsbeschluss vom 04.07.2019 ‑ VIII B 51/19, BFH/NV 2019, 1235).

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