Skip to main content
  • SIS-Datenbank Steuerrecht

    Kann Ihre Steuerrechts-Datenbank,
    was unsere SIS-Datenbank kann?

    • » Online und/oder Offline mit monatlicher Update-DVD
    • » Über 130.000 Urteile und Erlasse, durchgehend mit Leitsätzen
    • » Vollelektronische Handbücher ESt/LSt, KSt, GewSt, USt, AO

    » Einen Monat kostenlos testen

BFH: Haftung der Organgesellschaft für nach Beendigung der Organschaft entstandene Steuern

  1. Die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers gemäß § 73 AO beschränkt sich nicht notwendig auf solche Steuern, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.
  2. Die Organgesellschaft kann in dem Umfang haften, in dem der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann.

AO § 73
UStG § 2, § 17

BFH-Urteil vom 5.4.2022, VII R 18/21 (veröffentlicht am 8.9.2022)

Vorinstanz: Sächsisches FG vom 13.4.2021, 3 K 1304/19

I. Streitig ist, ob eine ehemalige Organgesellschaft nach § 73 der Abgabenord­nung (AO) auch für die während des Bestehens der Organschaft steuerrecht­lich noch nicht entstandene Umsatzsteuer in Haftung genommen werden kann.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) wurde mit Beschluss des zuständi­gen Amtsgerichts (AG) vom 27.03.2014 zum vorläufigen Insolvenzverwalter über das Vermögen der X‑GmbH (GmbH) bestellt. Unter Ziff. 4 des Beschlusses war bestimmt, dass Verfügungen der Schuldnerin über Ge­genstände ihres Vermögens nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insol­venzverwalters wirksam sein sollten (allgemeiner Zustimmungsvorbehalt ge­mäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 der Insolvenzordnung ‑‑InsO‑‑). Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss des AG vom xx.05.2014 eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Die GmbH war zuvor umsatzsteuerlich als Organgesellschaft in das Unterneh­men der A‑GmbH eingegliedert gewesen (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes ‑‑UStG‑‑). Über das Vermögen der A‑GmbH wurde mit Beschluss vom xx.07.2014 ebenfalls das Insolvenzverfahren eröff­net.

Bei der A‑GmbH bestanden im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung über ihr Ver­mögen Umsatzsteuerrückstände in Höhe von … €, u.a. aus den Vor­anmeldungen für März 2014. Der Beklagte und Revisionskläger (Finanzamt ‑‑FA‑‑) meldete deswegen im Insolvenzverfahren der GmbH eine Haftungs­forderung in ebendieser Höhe gemäß § 73 AO wegen rückständiger Umsatz­steuer der A‑GmbH zur Insolvenztabelle an. Da der Kläger die Forderung in vollem Umfang bestritt, erließ das FA am 16.04.2018 den streitgegenständli­chen Feststellungsbescheid nach § 251 Abs. 3 AO.

Nach erfolglosem Einspruch erhob der Kläger Klage und beantragte, den Fest­stellungsbescheid dahingehend zu ändern, dass die Forderung in dem Umfang reduziert werde, in dem die Umsatzsteuer für März 2014 betroffen sei. Wäh­rend des Klageverfahrens erließ das FA einen geänderten Feststellungsbe­scheid und reduzierte die Umsatzsteuerforderung für März 2014 von 188.291,02 € um 16.377,12 € auf 171.913,90 € (laufende Nummer 22 des Feststellungsbescheids).

Das Finanzgericht (FG) gab dem Kläger Recht. Eine Haftung nach § 73 AO für die Umsatzsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2014 bestehe nicht, weil diese bei Beendigung der Organschaft am 27.03.2014 rechtlich noch nicht entstanden gewesen sei. Die Steuer für die Leistungen im Voranmeldungszeit­raum März 2014 sei erst mit Ablauf des 31.03.2014 entstanden. Auf eine wirt­schaftliche oder insolvenzrechtliche Verursachung der Steuer komme es nicht an. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2021, 1953 abgedruckt.

Dagegen richtet sich die Revision des FA.

Das FA beruft sich auf den Anwendungserlass zur Abgabenordung zu § 73, Nr. 3.2. Danach reiche es aus, wenn die Steuern während der zeitlichen Dauer der Organschaft verursacht worden seien. Die steuerliche Bedeutung der Or­ganschaft gehe nicht dadurch verloren, dass ein Steueranspruch möglicherwei­se erst nach Beendigung der Organschaft entstehe, sofern dieser durch die Organschaft noch beeinflusst sei. Anderenfalls führte dies in den Fällen, in denen Steueransprüche erst nach Beendigung der Organschaft entstünden, allerdings von dieser mitverursacht seien, zu einer Haftungslücke. Die Organ­gesellschaft solle nach § 73 AO gerade auch für solche Steuern haften, die sie ohne die Organschaft selbst geschuldet hätte. Denn Sinn und Zweck der Norm sei es, die steuerlichen Risiken auszugleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden seien (vgl. auch Senatsurteil vom 05.10.2004 ‑ VII R 76/03, BFHE 207, 18, BStBl II 2006, 3).

Die rückständige Umsatzsteuer für den Monat März 2014 beruhe auf der Un­einbringlichkeit der gegen die GmbH gerichteten Forderungen und der daher notwendigen Korrektur von Vorsteuerbeträgen für unbezahlte Eingangsleistun­gen gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG. Träten die Be­endigung der Organschaft und die Uneinbringlichkeit gleichzeitig ein, richte sich der Vorsteuerrückforderungsanspruch gegen den (ehemaligen) Organträ­ger, weshalb diese Korrekturen durch das Organschaftsverhältnis verursacht seien und in den Anwendungsbereich des § 73 AO fielen.

Das FA beantragt,
das Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Der Kläger erwidert, wegen der Akzessorietät des Haftungsanspruchs müsse die Steuerschuld, für welche gehaftet werde, materiell-rechtlich entstanden sein. Eine Haftung für die mit Ablauf des 31.03.2014 entstandene Umsatzsteu­er scheide demzufolge aus, weil die umsatzsteuerliche Organschaft durch Be­stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters am 27.03.2014 geendet habe. Das Tatbestandsmerkmal "steuerlich von Bedeutung" beziehe sich auf die Steuerart und enthalte kein zeitliches Moment.

Schließlich verweist der Kläger auf die Neuregelung in Art. 97 § 11 Abs. 4 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (EGAO) i.d.F. des Jahressteuerge­setzes 2020 vom 21.12.2020 ‑‑JStG 2020‑‑ (BGBl I 2020, 3096), nach der der haftungsbegründende Tatbestand i.S. des § 73 AO die Entstehung der Steuer­schuld oder des Anspruchs auf Erstattung einer Steuervergütung sei.

II. Die Revision des FA ist begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑).

Das FG hat zu Unrecht entschieden, dass die GmbH als ehemalige Organge­sellschaft gemäß § 73 Satz 1 AO nur für Steuern des Organträgers haftet, die während des Bestehens der Organschaft entstanden sind. Die Feststellungen der Vorinstanz reichen allerdings nicht aus, um beurteilen zu können, in wel­cher Höhe die ehemalige Organgesellschaft im Streitfall gemäß § 73 Satz 1 AO für Steuern des ehemaligen Organträgers haftet.

1. Die Finanzbehörde stellt nach § 251 Abs. 3 AO Ansprüche, die sie im Insol­venzverfahren aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend macht, erforderlichenfalls durch schriftlichen Verwaltungsakt fest. Das betrifft u.a. den Fall, in dem ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zum Zeit­punkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon begründet, aber noch nicht festgesetzt war und der Insolvenzverwalter der zur Tabelle angemelde­ten Forderung widersprochen hat. Wird der Feststellungsbescheid unanfecht­bar, beseitigt er den Widerspruch zur Tabelle.

2. Gegenstand der Feststellung ist die Geltendmachung einer Steuerforderung als Insolvenzforderung mit dem Ziel ihrer Berücksichtigung bei der Verteilung der Insolvenzmasse (Jatzke in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 251 AO Rz 463; vgl. Senatsurteil vom 23.02.2010 ‑ VII R 48/07, BFHE 228, 134, BStBl II 2010, 562, Rz 15). Der Verwaltungsakt nach § 251 Abs. 3 AO enthält also zwei Feststellungen, und zwar erstens, dass ein Anspruch aus dem Steu­erschuldverhältnis nach § 37 Abs. 1 AO besteht (a), und zweitens, dass es sich dabei um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt (b).

a) Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gemäß § 37 Abs. 1 AO gehört auch der Haftungsanspruch.

Gemäß § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Be­deutung ist.

aa) Ob eine Organschaft in diesem Sinne steuerlich von Bedeutung ist, richtet sich im Falle der umsatzsteuerlichen Organschaft nach den Bestimmungen des UStG.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer, wer eine gewerbliche oder be­rufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG nicht selbständig ausgeübt, wenn ei­ne juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse fi­nanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträ­gers eingegliedert ist (Organschaft). Die Organgesellschaft wird unselbständi­ger Teil des Unternehmens des Organträgers, sodass beide Gesellschaften als ein Unternehmen zu behandeln sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 3 UStG).

Grundsätzlich werden damit jegliche Umsätze der Organgesellschaft ein­schließlich der Verwirklichung der Entnahmetatbestände und der übrigen Um­sätze nach § 1 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 UStG dem Organträger zugerechnet. Die­ser ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden Umsatzsteuer. Er hat alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus § 18 UStG für den Unternehmer ergeben. Er allein gibt Voranmeldungen und Jahreserklärungen für den gesamten Organ­kreis ab. Die Organgesellschaft hat grundsätzlich keine Steuererklärungspflicht (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 11.12.2019 ‑ XI R 16/18, BFHE 268, 240, Deutsches Steuerrecht 2020, 645, Rz 47; s.a. Hartmann in Offerhaus/Söhn/Lange, § 2 UStG Rz 220).

Im vorläufigen Insolvenzverfahren endet die Organschaft nach der neueren höchstrichterlichen Rechtsprechung wegen Wegfalls der organisatorischen Ein­gliederung nicht nur dann, wenn ein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt wird, sondern auch dann, wenn ein schwacher Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternati­ve 2 InsO für die Organgesellschaft bestellt wird (vgl. BFH-Urteile vom 08.08.2013 ‑ V R 18/13, BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543, Rz 30; vom 24.08.2016 ‑ V R 36/15, BFHE 255, 310, BStBl II 2017, 595, und vom 27.11.2019 ‑ XI R 35/17, BFHE 267, 542, BStBl II 2021, 252, Rz 43, m.w.N.).

bb) Steuern des Organträgers, "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist", liegen demzufolge nach Wortlaut und Systema­tik von § 73 AO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 Sätze 1 und 3, § 18 UStG grundsätzlich dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organge­sellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leis­tungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft nach § 73 AO.

cc) Das entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. § 73 AO soll die steuerlichen Risiken ausgleichen, die mit der Verlagerung der steuerlichen Rechtszuständigkeit auf den Organträger verbunden sind. Durch den haftungs­rechtlichen Zugriff auf das Vermögen der Organgesellschaft sollen bei Zah­lungsunfähigkeit des Organträgers Steuerausfälle vermieden werden, die infol­ge von Vermögensverlagerungen innerhalb des Organkreises entstehen könn­ten (vgl. Senatsurteil in BFHE 207, 18, BStBl II 2006, 3, unter 1.; BFH-Urteil vom 31.05.2017 ‑ I R 54/15, BFHE 259, 1, BStBl II 2018, 54, Rz 9; Jatzke in Gosch, AO § 73 Rz 2, m.w.N.; Pahlke in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 73 AO Rz 3; Koenig/Kratzsch, Abgabenordnung, 4. Aufl., § 73 Rz 1; Bruschke, Der Steuerberater 2009, 201, 204).

dd) Dieses Verständnis liegt bereits der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur Abgabenordnung 1977 in Bezug auf § 73 AO zugrunde. Darin wird ausgeführt, die Haftungsvorschrift finde ihre Rechtfertigung darin, "daß bei steuerlicher Anerkennung einer Organschaft die vom Organträger zu zahlende Steuer auch die Beträge umfaßt, die ohne diese Organschaft von der Organgesellschaft geschuldet worden wären" (BTDrucks VI/1982, S. 120; vgl. auch BRDrucks 356/19, S. 218, und BFH-Urteil in BFHE 259, 1, BStBl II 2018, 54, Rz 9).

ee) Der erkennende Senat folgt damit nicht der im Schrifttum ‑‑ohne nähere Begründung‑‑ vertretenen Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind (Klein/Rüsken, AO, 15. Aufl., § 73 Rz 6; Boeker in HHSp, § 73 AO Rz 20; Jatzke in Gosch, AO § 73 Rz 9; Zugmaier/Nöcker/Rüsch, § 73 AO Rz 7 (1. Aufl. 2021); Schneider in eKomm ab 18.12.2019, § 73 AO, 4; BeckOK AO/Specker, 20. Ed. [01.04.2022], AO § 73 Rz 50; Koenig/Kratzsch, a.a.O., § 73 Rz 8; Loose in Tipke/Kruse, § 73 AO Rz 3; ebenso in einem obiter dictum Urteil des FG München vom 18.09.1991 ‑ 3 K 4202/88, EFG 1992, 373, unter II. [Rz 12]; sowohl Niewerth in Lippross/Seibel, Basiskommentar Steuerrecht, Stand 120. Lfg. 06.2020, § 73 AO Rz 3, als auch Pahlke in Schwarz/Pahlke, a.a.O., § 73 AO Rz 15 und 25, lassen bei abweichendem Wirtschaftsjahr Verursachung ausreichen).

Der Senat sieht ‑‑entgegen der Auffassung des Klägers‑‑ insbesondere nicht, dass sich das Tatbestandsmerkmal "für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist" nach Wortlaut und Systematik der Regelung lediglich auf die jeweilige Steuerart beziehen soll, welche von der Organschaft umfasst wird (vgl. BeckOK AO/Specker, a.a.O., AO § 73 Rz 50), z.B. Umsatz­steuer (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG), Körperschaftsteuer (§ 14 des Körperschaft­steuergesetzes ‑‑KStG‑‑) oder Gewerbesteuer (§ 2 Abs. 2 Satz 2 des Gewer­besteuergesetzes).

ff) Dieses Ergebnis steht ‑‑anders als der Kläger meint‑‑ nicht im Widerspruch zu der Neuregelung in Art. 97 § 11 Abs. 4 Satz 2 EGAO i.d.F. des JStG 2020, demzufolge haftungsbegründender Tatbestand i.S. von Art. 97 § 11 Abs. 4 Satz 1 EGAO die Entstehung der Steuerschuld oder des Anspruchs auf Erstat­tung einer Steuervergütung ist. Denn dieser Verweis bezieht sich auf § 73 Satz 2 AO i.d.F. des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektro­mobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 12.12.2019 (BGBl I 2019, 2451): Haftet eine Organgesellschaft, die selbst Organträger ist, nach Satz 1, haften ihre Organgesellschaften neben ihr ebenfalls nach Satz 1. Die Regelung in § 73 Satz 2 AO betrifft jedoch nicht die umsatzsteuerliche Or­ganschaft, weil es eine mehrstufige umsatzsteuerliche Organschaft in diesem Sinne nicht gibt. Die Neuregelung in § 73 Satz 2 AO ist als Reaktion des Ge­setzgebers auf das BFH-Urteil in BFHE 259, 1, BStBl II 2018, 54 anzusehen (BRDrucks 356/19, S. 217). Darin hatte der I. Senat entschieden, dass die Haftung nach § 73 Satz 1 AO für eine körperschaftsteuerrechtliche Organ­schaft (§ 14 Abs. 1 Satz 1 KStG) auf solche Steueransprüche beschränkt ist, die gegen den durch das konkrete Organschaftsverhältnis bestimmten Organ­träger gerichtet sind. Dies ist auch bei mehrstufigen Organschaften zu beach­ten.

b) Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechts­grund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2021 ‑ VII R 38/19, BFH/NV 2021, 1057, Rz 26, m.w.N.). Für die insol­venzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung kommt es weder auf die zugrunde liegende Steuerschuld noch auf den Erlass des Haftungsbescheids an, sondern darauf, ob die für die Haftung maßgebliche Handlung bzw. Unter­lassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde (Senatsurteil in BFH/NV 2021, 1057, Rz 27). Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 73 Satz 1 AO ist das Bestehen der Organschaft.

3. Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze kann der Senat nicht ab­schließend entscheiden, in welcher Höhe die GmbH als ehemalige Organgesell­schaft nach § 73 Satz 1 AO haftet. Das FG hat ‑‑ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt zutreffend‑‑ keine Feststellungen dazu getroffen, in wel­chem Umfang die Umsatzsteuer-Vorauszahlung für März 2014 Steuern des Or­gankreises und nicht originäre Steuern der ehemaligen Organträgerin enthält.

a) Die ursprünglich zwischen der A‑GmbH als Organträger und der GmbH als Organgesellschaft bestehende umsatzsteuerliche Organschaft endete am 27.03.2014 durch die Bestellung des Klägers als vorläufigen Insolvenzverwal­ter über das Vermögen der GmbH.

b) Sowohl bei der Erstellung des an die A‑GmbH gerichteten Bescheids über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für den Monat März 2014 als auch bei der Anfertigung der darauf beruhenden Haftungsberechnung vom 01.07.2015 ging das FA auf der Grundlage der früheren Rechtsprechung der Umsatzsteuersenate (vgl. BFH-Urteil vom 01.04.2004 ‑ V R 24/03, BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905) davon aus, dass die umsatzsteuerliche Organschaft bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH, mit­hin bis zum xx.05.2014, Bestand gehabt hatte. Wegen der Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft bereits am 27.03.2014 erfasst die Umsatz­steuerforderung gegen den (ehemaligen) Organträger für den Voranmeldungs­zeitraum März 2014 jedoch zwei Komplexe: die Umsatzsteuer betreffend den Organkreis bis zum 27.03.2014 und die (nur) eigene Umsatzsteuer der A‑GmbH ab dem 28.03.2014.

Eine solche Aufteilung ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht. Des­halb lassen sich die tatsächlichen Feststellungen des FG im Tatbestand des an­gefochtenen Urteils (auf S. 3, erster Absatz – juris-Rz 5), wonach das FA den Kläger für die auf Umsätze der GmbH entfallende Umsatzsteuer für März 2014 gemäß § 73 AO als Organgesellschaft in Haftung genommen habe, nicht durch den vorliegenden Akteninhalt belegen und binden daher den erkennenden Se­nat auch nicht nach § 118 Abs. 2 FGO (vgl. BFH-Urteil vom 30.03.2017 ‑ VI R 55/15, BFH/NV 2017, 1028, Rz 14, m.w.N.; s.a. Gräber/Ratschow, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 118 Rz 55, m.w.N.).

Der Tatbestand des angefochtenen Urteils lässt auch nicht erkennen, ob das FG die dort (auf S. 2, letzter Absatz – juris-Rz 4) wiedergegebenen Tatsachen­behauptungen des FA schlicht referiert hat oder ob es diese ‑‑nach eigenen Er­mittlungen, Überprüfungen und Würdigungen‑‑ i.S. von § 118 Abs. 2 FGO mit Bindungswirkung für das Revisionsgericht hat feststellen wollen. Denn im wei­teren Verlauf des Tatbestands (auf S. 5, vorletzter Absatz – juris-Rz 18) refe­riert das FG wiederum und möglicherweise ergänzend den Vortrag des FA, demzufolge die Umsatzsteuerrückstände bei der A‑GmbH für den Monat März 2014 auf der im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung für den Voranmel­dungszeitraum 03/2014 festgestellten eingetretenen Uneinbringlichkeit der ge­gen die Organgesellschaft gerichteten Forderungen und der daher notwendi­gen Korrektur von Vorsteuerbeträgen wegen Uneinbringlichkeit des vereinbar­ten Entgelts gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 UStG beruhten. Die­se Angabe widerspricht allerdings den vorliegenden Unterlagen bereits des­halb, weil neben Korrekturen der Umsatzsteuer und Vorsteuer nach § 17 UStG auch Umsatzsteuer in Höhe von 2.003,28 € (1.380,73 € und 622,55 €) ausge­wiesen ist. Der Verweis auf den Prüfungsbericht vom 07.05.2014 ist zum einen unzureichend, weil sich dieser Bericht nicht in den Beiakten befindet; zum an­deren enthält die Haftungsberechnung selbst diesen Hinweis nicht.

Im Übrigen besteht keine Bindung an die gegenüber der A‑GmbH ergangenen Steuerbescheide (vgl. BFH-Urteil vom 27.02.2020 ‑ V R 28/19, BFH/NV 2020, 1275, Rz 28).

c) Das FG wird Feststellungen dazu treffen müssen, in welcher Höhe die Um­satzsteuer für den Voranmeldungszeitraum März 2014 den Organkreis betrifft.

Dabei ist von folgenden Grundsätzen auszugehen:

aa) Soweit Lieferungen und sonstige Leistungen während des Bestehens der umsatzsteuerlichen Organschaft ausgeführt worden sind, kommt eine Haftung der Organgesellschaft in Betracht.

bb) Auch soweit die Berichtigung von Umsatzsteuer bzw. Vorsteuer nach § 17 UStG erfolgen muss, kommt es darauf an, wann die Tatbestandsvoraussetzun­gen dafür vorgelegen haben. Für den Streitfall verweist der Senat auf die ein­schlägige höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 242, 433, BStBl II 2017, 543, Rz 42), wonach aufgrund der Bestellung eines vor­läufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt von ei­ner Uneinbringlichkeit nach § 17 UStG auszugehen ist. Ist die Uneinbringlich­keit gleichzeitig mit der Organschaftsbeendigung eingetreten, richtet sich der Vorsteuerberichtigungsanspruch gegen den (vormaligen) Organträger und nicht gegen die Organgesellschaft (vgl. BFH-Beschluss vom 05.12.2008 ‑ V B 101/07, BFH/NV 2009, 432).

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

  • „Vielen Dank für die stets freundliche und konstruktive Betreuung durch Ihr Haus“

    Horst Flick, Groß- und Konzernbetriebsprüfer in Hessen

  • „Irgendwann innerhalb dieser 20 Jahre habe ich es einmal mit einem anderen Anbieter versucht. Das war aber gleich wieder vorbei. Nachher wusste ich SIS erst richtig zu schätzen.“

    Brigitte Scheibenzuber, Steuerberaterin, 84137 Vilsbiburg

  • „Ihre Datenbank ist eigentlich schier unerschöpflich und ich arbeite sehr gern damit. Ein großes Lob für die leichte Handhabung, die vielfachen Suchmöglichkeiten und überhaupt.“

    Ingrid Nigmann, Kanzlei Dipl.-Kfm. Georg-Rainer Rätze, 39112 Magdeburg

  • „Wir benutzen mit größter Zufriedenheit Ihre Datenbank, sie stellt wirklich eine enorme Erleichterung im täglichen Arbeitsleben dar.“

    Schneider, Siebert & Kulle, Partnerschaftsgesellschaft, 60486 Frankfurt

  • „Ich möchte nicht versäumen, Sie für die ‘SteuerMail’ zu loben. Die Aktualität und die Auswahl der Themen ist wirklich sehr gut.“

    Frank Zoller, Rechtsanwalt und Steuerberater, 75179 Pforzheim

  • „Sie haben offensichtlich die Bedürfnisse des steuerberatenden Berufs bei seiner Arbeit richtig eingeschätzt. Die Zuordnung der verschiedenen Dokumente zur jeweiligen Rechts-Vorschrift ist schlichtweg genial. Auch der Hinweis auf weitere Kommentare und Aufsätze ist außerordentlich wertvoll.“

    Willi Besenhart, Steuerberater, 81739 München

  • "Es macht wirklich Spaß mit Ihrer Datenbank zu arbeiten."

    Robert Kochs, Steuerberater, 52074 Aachen

  • "Ich bin sehr zufrieden. Die Datenbank ist äußerst hilfreich, Preis-Leistungsverhältnis stimmt."

    Erika Dersch, Steuerberaterin, 82431 Kochel am See

  • "Bin von Anfang an begeisterter Anwender und möchte SIS nicht mehr missen."

    Harald Dörr, Steuerberater, 63571 Gelnhausen

  • "Die SIS-Datenbank ist hervorragend; m.E. besser als die von den Finanzbehörden in BW verwendete Steuerrechtsdatenbank."

    Wolfgang Friedinger, 89077 Ulm

  • "Sehr gut ist die SteuerMail mit den Anlagen und die Internetseite mit den aktuellen Themen!"

    Karin Pede, IHR-ZIEL.DE GmbH, 91320 Ebermannstadt

  • "Mit Ihrer SIS-Datenbank bin ich seit Jahren sehr glücklich, hat mir schon sehr viel geholfen und der Preis ist nach wie vor sehr zivil für diese feine Geschichte."

    G. Grisebach, Steuerberaterin

  • "Auf vieles kann man verzichten - auf SIS niemals! Herzlichen Glückwunsch zur aktuellen SIS-Datenbank, vielen Dank für Ihren äußerst aktuellen Informations-Service"

    Friedrich Heidenberger, Steuerberater, 90530 Wendelstein

  • "Ihre Datenbank ist konkurrenzlos benutzerfreundlich."

    Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld

  • "Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."

    Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart

  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

  • Konditionen
  • Online-Datenbank schon ab 32,00 € inkl. USt

    » MEHR

  • Notiz-Funktion
  • Wow!
    Notiz-Funktion in der SIS-Datenbank!

    » MEHR

  • Bedienkomfort
  • Handbuecher
  • Google für Steuerprofis
  • Kanzleialltag
  • SIS & Agenda
  • So übersichtlich kann eine Datenbank sein.

    » MEHR

  • Jetzt das Geld für teuere Handbücher sparen!

    In der SIS-Datenbank sind sie bereits drin!

    » MEHR

  • Kennen Sie das "Google" für Steuerprofis?

    » MEHR

  • Alles, was den Kanzleialltag leichter macht.

    » MEHR

  • Zusatz-Vorteile mit Agenda-Software

    » MEHR