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BFH: Keine Entlastung nach § 9b, § 10 StromStG für Unternehmen in Schwierigkeiten

  1. Die Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG sind Beihilfen i.S. des Art. 107 Abs. 1 AEUV.
  2. Der Anwendung von § 9b, § 10 StromStG steht im Jahr 2016 für Unter­nehmen in Schwierigkeiten das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegen.
  3. Für die Einordnung eines Unternehmens als Unternehmen in Schwierigkei­ten kommt es nach Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO nur auf das einzelne Unter­nehmen, nicht jedoch auf die wirtschaftliche Einheit (Konzernverbund) an, in den das einzelne Unternehmen eingebunden ist.
  4. Für ein Unternehmen in Schwierigkeiten im Sinne der AGVO kommt es bei Erfüllung der Voraussetzung des Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO nicht darauf an, ob im Einzelfall eine positive Fortführungsprognose besteht.

StromStG § 9b, § 10
AEUV Art. 107, Art. 108
AGVO Art. 2

BFH-Urteil vom 19.1.2022 – VII R 28/19 (veröffentlicht am 9.6.2022)

Vorinstanz: FG München vom 6.6.2019, 14 K 3001/18 = SIS 19 14 92
Folgeinstanz: BVerfG 31.1.2023, 1 BvR 1777/22 (Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen)

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist eine im Jahr 2008 mit einem Stammkapital von 100.000 € gegründete GmbH.

Ihr nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag belief sich im Jahr 2015 auf 1.746.204 € und im Jahr 2016 auf 2.220.370 €. Sie erzielte Verluste in Höhe von 1.233.378 € im Jahr 2015 und in Höhe von 474.166 € im Jahr 2016. Nach der Stellungnahme der von der Klägerin beauftragten Rechtsanwältin Y vom 27.02.2015 zur wirtschaftlichen Situation der Klägerin unter insolvenzrechtli­chen Gesichtspunkten und deren Fortschreibung vom 17.07.2015 war die Klägerin bereits zum 31.12.2014 überschuldet; stille Reserven waren der Stel­lungnahme zufolge nicht vorhanden, es bestand jedoch eine positive Fortfüh­rungsprognose.

Für das erste Halbjahr 2016 gewährte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) der Klägerin eine Steuerermäßigung nach § 9b des Stromsteuergesetzes (StromStG) i.d.F. des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 (HBeglG 2011) vom 09.12.2010 (BGBl I 2010, 1885). Am 21.12.2017 bean­tragte die Klägerin Steuerentlastungen nach § 9b StromStG für das zwei­te Halbjahr 2016 und nach § 10 StromStG für das gesamte Jahr 2016.

Diese Anträge lehnte das HZA mit Bescheiden vom 24.04.2018 mit der Be­gründung ab, dass die Klägerin ein sog. Unternehmen in Schwierigkeiten sei und daher nach Maßgabe des unionsrechtlichen Beihilferechts die beantragten Entlastungen nicht gewährt werden dürften.

Einsprüche und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, der Klägerin stehe kein Anspruch auf eine Steuerentlastung nach § 9b, § 10 StromStG zu, weil sie ein Unternehmen in Schwierigkeiten sei und insoweit ein Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 des Vertrags über die Ar­beitsweise der Europäischen Union (AEUV) bestehe.

Hiergegen richtet sich die Revision der Klägerin.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, es handele sich bei den von ihr begehrten Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG nicht um Beihilfen nach Art. 107 ff. AEUV. Die Gewährung der Entlastung nach § 10 StromStG sei als staatliche Maßnahme an eine angemessene Gegenleistung gekoppelt, weil die Unternehmen ein Energiemanagementsystem betreiben müssten, was mit erheblichen Aufwendungen für diese verbunden sei. Deshalb gewähre die Ent­lastung keinen Vorteil. Zudem werde den Unternehmen durch § 9b und § 10 StromStG kein selektiver Vorteil gewährt, weil sich Unternehmen des Produ­zierenden Gewerbes in einer anderen tatsächlichen und rechtlichen Situation befänden als die nicht begünstigten Dienstleistungsunternehmen. Weil Dienst­leistungen standortgebunden seien, stünden Dienstleistungsunternehmen nicht im selben Maße wie das Produzierende Gewerbe im internationalen Wettbewerb. Die Klägerin verweist insoweit auf das Urteil des Bundesverfas­sungsgerichts (BVerfG) vom 20.04.2004 ‑ 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99 (BVerfGE 110, 274), wonach die Beschränkung des Spitzenausgleichs auf Unternehmen des Produzierenden Gewerbes nicht gegen den Gleichheits­grundsatz nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verstoße. Damit gebe es keine unterschiedliche Behandlung, die im Wesentlichen als diskriminierend einge­stuft werden könne (Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ‑‑EuGH‑‑ Kommission/World Duty Free Group u.a. vom 21.12.2016 ‑ C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2017, Nr. C 53, 4). Im Übrigen fehle es auch deshalb an einer Se­lektivität, weil sich die Differenzierung aus der Natur der Stromsteuer als Ver­brauchsteuer ergebe. Die Stromsteuer dürfe nämlich nur so hoch ausfallen, wie die Unternehmen des Produzierenden Gewerbes die Stromsteuerbelastung auf den Konsumenten abwälzen könnten. Eine Besteuerung mit dem Regelsatz in Höhe von 20,50 € je MWh sei nicht auf die Konsumenten abwälzbar. Zwar verweise Art. 44 der Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17.06.2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihil­fen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABlEU 2014, Nr. L 187, 1) ‑‑AGVO‑‑ auf die Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27.10.2003 zur Re­strukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (ABlEU 2003, Nr. L 283, 51) ‑‑EnergieStRL‑‑. Jedoch seien § 9b und § 10 StromStG nicht auf der Grundla­ge von Art. 17 EnergieStRL ergangen.

Hilfsweise rügt die Klägerin, dass die Kriterien für "Unternehmen in Schwierig­keiten" nach Art. 1 Abs. 4 Buchst. c i.V.m. Art. 2 Nr. 18 AGVO mit dem pri­mären Unionsrecht unvereinbar seien. Diese strengen Kriterien führten zu Wettbewerbsverzerrungen, wenn Unternehmen ohne staatliche Hilfe aus eige­ner Kraft oder mithilfe ihrer Anteilseigner oder sonstiger privater Dritter in der Lage seien, nachhaltig erfolgreich zu arbeiten.

Die Klägerin sei aufgrund der nachhaltigen Einbindung in die Finanzkraft ihrer Konzernmutter kein Unternehmen in Schwierigkeiten; die Gesellschafter hät­ten sich vertraglich verpflichtet, ausreichend Finanzmittel in der Gesellschaft zum dauerhaften Unternehmenserhalt zu belassen. Der Konzern sei nach dem europäischen Beihilferecht als funktionale Einheit zu betrachten und befinde sich nicht in Schwierigkeiten. Die Klägerin verweist hierzu auf das EuGH-Urteil vom 16.12.2010 ‑ C‑480/09 P (Slg. 2010, I‑13355). Sie regt schließlich an, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil der Vorinstanz aufzuheben und das HZA zu verpflichten, ihr unter Aufhebung der Ablehnungsbescheide vom 24.04.2018, jeweils in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 23.10.2018, eine Steuerentlastung nach § 9b StromStG für das zweite Halbjahr 2016 in Höhe von 16.445,72 € und eine Steuerentlastung nach § 10 StromStG für das Jahr 2016 in Höhe von 87.697,99 € zu gewähren.

Das HZA beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Das HZA erwidert, zutreffend stelle das FG darauf ab, dass sich der Beihil­fecharakter der Entlastungen in § 9b und § 10 StromStG bereits aus den Ent­scheidungen der Europäischen Kommission vom 13.02.2002 (N 449/2001, C (2002) 441 fin COR) und vom 13.06.2007 (N 775/2006, K (2007) 2416 endg.) ergebe. Im Übrigen lägen auch die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Beihilfe vor.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ‑‑FGO‑‑). Das Urteil des FG entspricht Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO).

Die Steuerentlastungen nach § 9b und § 10 StromStG sind unter Art. 107 Abs. 1 AEUV fallende staatliche Beihilfen und unterliegen im Streitfall dem Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV, weil das in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehene Prüfungsverfahren nicht beachtet wurde und keine Ausnahmen nach Art. 107 Abs. 3 Buchst. c oder Art. 108 Abs. 4 AEUV vorlie­gen.

1. Nach § 9b Abs. 1 StromStG wird eine Steuerentlastung auf Antrag gewährt für nachweislich nach § 3 StromStG versteuerten Strom, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land‑ und Forstwirt­schaft für betriebliche Zwecke entnommen hat und der nicht nach § 9 Abs. 1 StromStG von der Steuer befreit ist. Die Steuerentlastung wird jedoch für die Entnahme von Strom zur Erzeugung von Licht, Wärme, Kälte, Druckluft und mechanischer Energie nur gewährt, soweit die vorgenannten Erzeugnisse nachweislich durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes oder ein Unternehmen der Land‑ und Forstwirtschaft genutzt worden sind. Abweichend von § 9b Abs. 1 Satz 2 StromStG wird die Steuerentlastung auch für Strom zur Erzeugung von Druckluft gewährt, soweit diese in Druckflaschen oder an­deren Behältern abgegeben wird.

Nach § 10 Abs. 1 StromStG wird die Steuer für nachweislich versteuerten Strom, den ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes für betriebliche Zwecke, ausgenommen solche nach § 9 Abs. 2 oder Abs. 3 StromStG, ent­nommen hat, auf Antrag nach Maßgabe der Absätze 2 bis 8 erlassen, erstattet oder vergütet, soweit die Steuer im Kalenderjahr den Betrag von 1.000 € übersteigt. Eine nach § 9b StromStG mögliche Steuerentlastung wird dabei abgezogen. Die Steuer für Strom, der zur Erzeugung von Licht, Wärme, Kälte, Druckluft und mechanischer Energie entnommen worden ist, wird jedoch nur erlassen, erstattet oder vergütet, soweit die vorgenannten Erzeugnisse nach­weislich durch ein Unternehmen des Produzierenden Gewerbes genutzt worden sind.

2. Das StromStG enthielt im Streitjahr (2016) im Hinblick auf die Steuerent­lastungen nach § 9b und § 10 StromStG keine Einschränkungen für Unter­nehmen in Schwierigkeiten. Die Neuregelung in § 2a Abs. 2 Satz 1 StromStG, nach der die Inanspruchnahme oder Beantragung einer Steuerbefreiung, Steuerermäßigung oder Steuerentlastung, die als staatliche Beihilfe anzusehen ist, für Unternehmen in Schwierigkeiten nicht zulässig ist, wurde erst durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Energiesteuer‑ und des Stromsteuerge­setzes vom 27.08.2017 (BGBl I 2017, 3299) mit Wirkung zum 01.01.2018 eingefügt und gilt deshalb jedenfalls nicht für das Streitjahr.

3. Allerdings bestehen für die hier zu beurteilenden Steuerentlastungen uni­onsrechtliche Einschränkungen für Unternehmen in Schwierigkeiten, die be­reits im Streitjahr zu beachten waren.

a) Soweit in dem AEUV und in dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen (Art. 107 Abs. 1 AEUV). Art. 107 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV enthalten einen Katalog von Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt vereinbar sind oder als mit dem Binnenmarkt vereinbar angese­hen werden können.

Nach Art. 108 Abs. 3 Satz 1 AEUV wird die Kommission von jeder beabsichtig­ten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, dass sie sich dazu äußern kann. Um dem Prüfungsvorbehalt zugunsten der Kommission zur Wirkung zu verhelfen, gibt Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV wei­terhin vor, dass der betreffende Mitgliedstaat die beabsichtigte Maßnahme nicht durchführen darf, bevor die Kommission einen abschließenden Beschluss erlassen hat.

Das Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV kommt lediglich dann nicht zur An­wendung, wenn staatliche Beihilfen durch Verordnungen allgemeingültig zuge­lassen wurden (vgl. auch Art. 109 AEUV). Nach Art. 108 Abs. 4 AEUV kann die Kommission Verordnungen zu den Arten von staatlichen Beihilfen erlassen, für die der Rat nach Art. 109 AEUV festgelegt hat, dass sie von dem Verfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen werden können.

Aus der unmittelbaren Wirkung von Art. 108 Abs. 3 AEUV ergibt sich, dass die nationalen Gerichte zugunsten der Einzelnen nach ihrem nationalen Recht sämtliche Konsequenzen aus einem Verstoß gegen diese Bestimmung sowohl bezüglich der Gültigkeit der Durchführungsakte als auch bezüglich der Beitrei­bung der unter Verstoß gegen diese Bestimmung gewährten finanziellen Un­terstützungen oder eventueller vorläufiger Maßnahmen ziehen müssen (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteile SFEI u.a. vom 11.07.1996 ‑ C‑39/94, EU:C:1996:285, Rz 39 und 40; vom 16.04.2015 ‑ C‑690/13, EU:C:2015:235, Rz 52; vom 11.11.2015 ‑ C‑505/14, EU:C:2015:742, Rz 23 und 24, sowie vom 13.12.2018 ‑ C‑492/17, EU:C:2018:1019, Rz 42, Neue Juristische Wo­chenschrift 2019, 577).

Im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten obliegt die Prüfung, ob eine Steuerbe­günstigung als staatliche Beihilfe i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen ist, den nationalen Gerichten (vgl. EuGH-Urteile Lucchini vom 18.07.2007 ‑ C‑119/05, EU:C:2007:434, Rz 50, Slg. 2007, I‑6199, und Ministerio de Defensa und Navantia vom 09.10.2014 ‑ C‑522/13, EU:C:2014:2262, Rz 55, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung ‑‑HFR‑‑ 2014, 1134).

b) Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH verlangt die Einstufung einer nationalen Maßnahme als "staatliche Beihilfe" i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass die nachfolgenden Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. EuGH-Urteil A‑Brauerei vom 19.12.2018 ‑ C‑374/17, EU:C:2018:1024, Rz 19, HFR 2019, 75):

Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch die Maßnahme ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss die Maßnahme den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (EuGH-Urteil Kommission/World Duty Free Group u.a., EU:C:2016:981, Rz 53 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

Als staatliche Beihilfen gelten Maßnahmen gleich welcher Art, die mittelbar oder unmittelbar Unternehmen begünstigen oder die als ein wirtschaftlicher Vorteil anzusehen sind, den das begünstigte Unternehmen unter normalen Marktbedingungen nicht erhalten hätte (EuGH-Urteil Ministerio de Defensa und Navantia, EU:C:2014:2262, Rz 21, HFR 2014, 1134; vgl. auch Beschluss des Bundesfinanzhofs ‑‑BFH‑‑ vom 13.03.2019 ‑ I R 18/19, BFHE 265, 23, Rz 51). Handelt es sich um eine obligatorische Steuerbefreiung und überschreitet der Mitgliedstaat bei der Umsetzung in nationales Recht die unionsrechtlichen Vorgaben nicht, dann fehlt es bereits an einer von Art. 107 Abs. 1 AEUV er­fassten Maßnahme eines Mitgliedstaats (vgl. Ismer/Haußner/Piotrowski, Zeit­schrift für Zölle und Verbrauchsteuern ‑‑ZfZ‑‑ 2016, 278, 282; Bongartz/ Jatzke/Schröer-Schallenberg, Energiesteuer, Stromsteuer, § 2a StromStG Rz 4).

Bei der Beurteilung der Selektivität ist zu klären, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer konkreten rechtlichen Regelung geeignet ist, "bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige" gegenüber anderen Unter­nehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächli­chen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Be­handlung erfahren, die im Wesentlichen als diskriminierend eingestuft werden kann (vgl. EuGH-Urteil Andres (Insolvenz Heitkamp BauHolding) vom 28.06.2018 ‑ C‑203/16 P, EU:C:2018:505, Rz 83, ABlEU 2018, Nr. C 294, 2, Betriebs-Berater 2018, 2079). Deshalb kann eine staatliche Maßnahme, die unterschiedslos allen Unternehmen im Inland zugutekommt, keine staatliche Beihilfe darstellen (EuGH-Urteil Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke vom 08.11.2001 ‑ C‑143/99, EU:C:2001:598, Slg. 2001, I‑8365, HFR 2002, 158). Insbesondere in Bezug auf nationale Maßnah­men, die einen Steuervorteil verschaffen, ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Maßnahme, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen und daher eine staatliche Beihilfe i.S. von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen kann. Dagegen stellt ein Steuervorteil, der sich aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme ergibt, keine Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar.

c) Mit der AGVO hat die Kommission gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 994/98 des Rates vom 07.05.1998 über die Anwendung der Artikel 92 und 93 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften auf bestimm­te Gruppen horizontaler Beihilfen (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften ‑‑ABlEG‑‑ 1998, Nr. L 142, 1) mit Wirkung vom 01.07.2014 Regelungen ge­schaffen, die Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen allgemeingültig zulassen, ohne dass dafür im Einzelfall ein Beschluss i.S. von Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV erforderlich ist.

aa) Nach Art. 3 AGVO sind Beihilferegelungen, Einzelbeihilfen auf der Grundla­ge von Beihilferegelungen und Ad‑hoc-Beihilfen i.S. von Art. 107 Abs. 2 oder Abs. 3 AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbar und von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV freigestellt, sofern diese Beihilfen u.a. alle Voraussetzun­gen des Kapitels I (Art. 1 bis 9 - Gemeinsame Bestimmungen) der AGVO er­füllen.

Die AGVO gilt jedoch nicht für Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten, ausgenommen Beihilferegelungen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen (Art. 1 Abs. 4 Buchst. c AGVO).

Unternehmen in Schwierigkeiten sind nach Art. 2 Nr. 18 AGVO solche Unter­nehmen, auf die mindestens einer der dort genannten Umstände zutrifft. Nach Buchst. a Satz 1 dieser Vorschrift ist dies bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung (ausgenommen kleine und mittlere Unternehmen ‑‑KMU‑‑, die noch keine drei Jahre bestehen, und, in Bezug auf Risikofinanzierungsbeihilfen, KMU in den sieben Jahren nach ihrem ersten kommerziellen Verkauf, die nach einer Due-Diligence-Prüfung durch den ausgewählten Finanzintermediär für Risikofi­nanzierungen in Frage kommen) gegeben, wenn mehr als die Hälfte des ge­zeichneten Stammkapitals infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist. Dies ist der Fall, wenn sich nach Abzug der aufgelaufenen Verluste von den Rücklagen und allen sonstigen Elementen, die im Allgemeinen den Eigenmit­teln des Unternehmens zugerechnet werden, ein negativer kumulativer Betrag ergibt, der mehr als der Hälfte des gezeichneten Stammkapitals entspricht. Für die Zwecke dieser Bestimmung bezieht sich der Begriff "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" insbesondere auf die in Anhang I der Richtlinie 2013/34/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 über den Jahresabschluss, den konsolidierten Abschluss und damit verbundene Berichte von Unternehmen bestimmter Rechtsformen und zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinien 78/660/EWG und 83/349/EWG des Rates (ABlEU 2013, Nr. L 182, 19) genannten Arten von Unternehmen; und der Begriff "Stammkapital" umfasst ggf. alle Agios (Art. 2 Abs. 18 Buchst. a Satz 2 AGVO). In Anhang I dieser Richtlinie ist auch die deutsche GmbH aufgeführt.

bb) Wie sich aus dem Erwägungsgrund 14 der AGVO ergibt, sollen Beihilfen an Unternehmen in Schwierigkeiten nicht unter die AGVO fallen, sondern anhand anderer Leitlinien gewürdigt werden. Hintergrund ist, dass Unternehmen durch die Beihilfe zu einem bestimmten Tun, dem geförderten Vorhaben, animiert werden sollen. Bei weniger solventen Unternehmen (d.h. Unternehmen in Schwierigkeiten) besteht jedoch das Risiko, dass die Beihilfe eher zur Rettung des Unternehmens selbst eingesetzt wird als zur Umsetzung des geförderten Vorhabens. Jedenfalls besteht bei weniger solventen Unternehmen ein höheres Risiko, dass der Förderzweck nicht erreicht wird. Daher sollen weniger solven­te Unternehmen allenfalls durch Beihilfen gerettet oder umstrukturiert werden, was aber nach anderen Kriterien und daher nach anderen Leitlinien beurteilt werden muss (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts/der Generalanwältin vom 09.09.2021 ‑ C‑347/20, Celex-Nr. 62020CC0347).

Der Wortlaut der Regelungen des Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO ist insofern eindeutig, als der Unionsgesetzgeber im Interesse der Rechtssicherheit mit dem Verlust des gezeichneten Stammkapitals in einer bestimmten Höhe zur Definition von Unternehmen in Schwierigkeiten ein Kriterium gewählt hat, das einer Auslegung nicht bedarf (vgl. auch Erwägungsgrund 14 der AGVO). Die­ses Kriterium sollte auch ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sein (vgl. auch Nowak in Immenga/ Mestmäcker, Wettbewerbsrecht, 5. Aufl., Art. 1 AGVO Rz 29). Deshalb geht der Senat davon aus, dass es sich nicht lediglich um eine gesetzliche Vermu­tung für das Bestehen wirtschaftlicher Schwierigkeiten handelt, die im Einzel­fall durch den Nachweis weiterer Umstände widerlegt werden könnte.

Die AGVO stellt bei der Definition eines Unternehmens in Schwierigkeiten in Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO konkret auf die einzelne GmbH ab, welche die in Rede stehende Beihilfe beansprucht. Dieser auf bestimmte Gesellschaftsfor­men bezogene Unternehmensbegriff umfasst deshalb nicht die wirtschaftliche ‑‑von der Klägerin als "funktional" bezeichnete‑‑ Einheit, wie sie der EuGH regelmäßig verwendet (z.B. EuGH-Urteil in Slg. 2010, I‑13355, m.w.N.). Die Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Einheit statt der einzelnen GmbH liefe schließlich auch dem Ziel der Vereinfachung zuwider, weil die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten erforderlichenfalls einen gesamten Konzern und damit Unternehmen in einem Organkreis prüfen müssten, obwohl eine detail­lierte Untersuchung der besonderen Lage nach dem Erwägungsgrund 14 der AGVO gerade nicht notwendig sein soll. Dass eine solche Gesamtbetrachtung nicht vorgesehen ist, zeigt sich auch im Vergleich zu den Leitlinien für staat­liche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unterneh­men in Schwierigkeiten (ABlEU 2014, Nr. C 249, 1). Unter dem dortigen Abschn. 2.2. "Sachlicher Anwendungsbereich: Begriff des Unternehmens in Schwierigkeiten" finden sich in Rz 22 Ausführungen zur Beihilfegewährung an ein Unternehmen, das zu einer Unternehmensgruppe gehört. Es muss sich danach bei den Schwierigkeiten des betreffenden Unternehmens nachweislich um Schwierigkeiten des Unternehmens selbst handeln, die nicht auf eine will­kürliche Kostenverteilung innerhalb der Gruppe zurückzuführen und die so gravierend sind, dass sie von der Gruppe selbst nicht bewältigt werden kön­nen. Auf derartige Ausführungen hat der Verordnungsgeber der AGVO verzich­tet.

4. Unter Anwendung der dargestellten Grundsätze kann der Klägerin keine Stromsteuerentlastung nach § 9b und § 10 StromStG gewährt werden, weil es sich hierbei um Beihilfen handelt und die Klägerin ein Unternehmen in Schwie­rigkeiten ist.

a) Das FG hat keine Feststellungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen der Entlastungsansprüche nach § 9b und § 10 StromStG getroffen. Ob deren Tat­bestandsvoraussetzungen erfüllt sind, kann jedoch dahingestellt bleiben, weil den Entlastungsansprüchen das Durchführungsverbot nach Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV entgegensteht.

b) Im Streitfall liegen Beihilfen nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor.

aa) Dies gilt zunächst für die Steuerentlastung nach § 9b StromStG (gl.A. Möhlenkamp/Milewski, Energiesteuergesetz, Stromsteuergesetz, 2. Aufl., § 9b StromStG Rz 1; Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, a.a.O., § 2a StromStG Rz 5 und § 9b StromStG Rz 9 f.).

§ 9b StromStG wurde durch das HBeglG 2011 in das StromStG eingefügt; dadurch wurde für Unternehmen des Produzierenden Gewerbes und der Land- und Forstwirtschaft das Erlaubnisverfahren (§ 9 Abs. 3 StromStG in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung) abgeschafft und ein Entlastungsverfahren eingeführt (BTDrucks 17/3030, S. 44 f.). Mithin wird den genannten Unter­nehmen bei Inanspruchnahme der Entlastung ein wirtschaftlicher Vorteil ge­genüber anderen Unternehmen eingeräumt.

Der Senat folgt nicht der Auffassung der Klägerin, wonach ein selektiver Vor­teil deshalb zu verneinen sei, weil sich Unternehmen des Produzierenden Ge­werbes in einer anderen rechtlichen und tatsächlichen Situation befänden als Dienstleistungsunternehmen. Für die vergleichbaren Regelungen in Österreich hat der EuGH bereits ausdrücklich entschieden, dass nationale Maßnahmen, die eine teilweise Vergütung von Energieabgaben auf Erdgas und elektrische Energie nur für Unternehmen vorsehen, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Güter besteht, als staatliche Beihilfen anzusehen sind (EuGH-Urteil Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zement­werke, EU:C:2001:598, Slg. 2001, I‑8365, HFR 2002, 158).

Soweit die Klägerin auf das BVerfG-Urteil in BVerfGE 110, 274 verweist, ergibt sich daraus nichts Gegenteiliges. Das BVerfG hat hier zwar einen Verstoß ge­gen Art. 3 GG verneint. Dies erfolgte jedoch auf der zweiten Ebene der verfas­sungsrechtlichen Prüfung, also in Bezug auf die Rechtfertigung einer Ungleich­behandlung (also Selektivität), die das BVerfG bejaht hat.

bb) Auch der sog. Spitzenausgleich nach § 10 StromStG stellt unter Anwen­dung der dargestellten Grundsätze eine Beihilfe dar. Insbesondere mangelt es nicht deshalb an einem Vorteil im Sinne der EuGH-Rechtsprechung, weil die betroffenen Unternehmen nach § 10 Abs. 3 StromStG verpflichtet sind, ein den Anforderungen der DIN EN ISO 50001, Ausgabe Dezember 2011, entspre­chendes Energiemanagementsystem zu betreiben. Zwar können die durch die Auferlegung von Pflichten entstandenen Kosten grundsätzlich als Gegenleis­tung angesehen werden, so dass es an einem Vorteil fehlt, wenn die gewährte Begünstigung diesen entstandenen zusätzlichen Kosten entspricht (vgl. EuGH-Urteil Ferring vom 22.11.2001 ‑ C‑53/00, EU:C:2001:627, ABlEG 2002, Nr. C 17, 6, HFR 2002, 258). Vorliegend hat jedoch das FG zu der Behauptung der Klägerin, es handele sich um eine angemessene Gegenleistung der Unter­nehmen, schon keine Feststellungen zur konkreten Art und zum konkreten Umfang der Gegenleistung getroffen. Die Klägerin hat hierzu im erstinstanzli­chen Verfahren weder Beweis angeboten noch eine mangelnde Sachverhalts­aufklärung gerügt.

Bezüglich der von der Klägerin bestrittenen Selektivität des sog. Spitzenaus­gleichs gelten die obigen Ausführungen zu § 9b StromStG entsprechend. Im Übrigen werden nach § 10 StromStG ‑‑anders als in § 9b StromStG‑‑ die Un­ternehmen der Land‑ und Forstwirtschaft nicht begünstigt.

cc) Schließlich verweist der Senat auf die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 13.06.2007 (N 775/2006, K (2007) 2416 endg.). Danach stellten die Begünstigungen in § 9 Abs. 3 StromStG i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung der ökologischen Steuerreform vom 23.12.2002 (BGBl I 2002, 4602) ‑‑StromStG a.F. ‑‑ und in § 10 StromStG Beihilfen dar. § 9 Abs. 3 StromStG a.F. und der im Streitjahr geltende § 9b StromStG sind in der jewei­ligen Ausgestaltung der Steuerbegünstigung vergleichbar, weshalb der Senat die Entscheidung der Europäischen Kommission für übertragbar hält. An einen Mitgliedstaat gerichtete Entscheidungen sind für alle Organe des jeweiligen Staates, einschließlich seiner Gerichte, verbindlich (vgl. in diesen Sinne EuGH-Urteil Berlin-Butter II vom 21.05.1987 ‑ 249/85, Slg. 1987, 2345, Rz 17).

c) Das FG hat zutreffend angenommen, dass für das Streitjahr 2016 keine ausdrückliche Genehmigung der Europäischen Kommission vorlag. Diese hatte die Steuerermäßigungen für das Produzierende Gewerbe und den sog. Spit­zenausgleich nur bis zum 31.12.2012 als Beihilfen genehmigt (zuletzt Ent­scheidung der Kommission vom 13.06.2007 (N 775/2006, K (2007) 2416 endg.).

d) Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine allgemeine Genehmigung der Beihilfen nach der AGVO berufen, weil sie ‑‑wie bereits ausgeführt‑‑ als ein Unternehmen in Schwierigkeiten i.S. von Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO anzu­sehen ist. Denn bei der Klägerin handelt es sich nicht um ein von der Begriffs­bestimmung ausgenommenes KMU. Zudem war nach den bindenden Feststel­lungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) zu den Bilanzstichtagen 31.12.2015 und 31.12.2016 jeweils mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals der Klägerin infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen (Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO). Die Bilanzen der Klägerin haben jeweils einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag ausgewiesen; das Stammkapital war also bereits vollständig aufgezehrt.

Die vorgebrachten Einwendungen der Klägerin stehen ihrer Einordnung als Unternehmen in Schwierigkeiten nicht entgegen.

aa) Die von der Klägerin behauptete positive Fortführungsprognose ist unbe­achtlich, da eine solche Einschränkung in Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO nicht vorgesehen ist (vgl. auch Möhlenkamp/Milewski, a.a.O., § 2a StromStG Rz 15; zur Ausschließlichkeit der in Art. 2 Nr. 18 AGVO genannten Kriterien s.a. Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, a.a.O., § 2a StromStG Rz 30). Eine entsprechende Ausnahme stünde zudem im ausdrücklichen Widerspruch zu Erwägungsgrund 14 der AGVO, welcher gerade darauf abstellt, dass keine detaillierte Untersuchung notwendig sein soll (s.o., unter II.3.c bb), so dass nach dem Sinn und Zweck der Regelung für die Berücksichtigung von Progno­sen kein Raum ist.

Soweit die Klägerin diesbezüglich auf die Rz 20 der Leitlinien für staatliche Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung nichtfinanzieller Unternehmen in Schwierigkeiten (ABlEU 2014, Nr. C 249, 1) verweist, nach denen ein Unter­nehmen in Schwierigkeiten jedenfalls nur dann für eine Beihilfe in Betracht kommt, wenn es nachweislich nicht in der Lage ist, sich aus eigener Kraft oder mit Mitteln seiner Eigentümer/Anteilseigner oder mit Fremdmitteln zu sanie­ren, findet diese Regelung auf den vorliegenden Fall keine Anwendung, weil sie die Gewährung einer Sanierungsbeihilfe betrifft. Im Streitfall handelt es sich jedoch um die Verweigerung einer Beihilfe an ein Unternehmen, das sich in Schwierigkeiten befindet.

bb) Auch der erstmals im Revisionsverfahren vorgetragene Einwand, die Klä­gerin sei wegen der vertraglichen Verpflichtung ihrer Gesellschafter, zum dau­erhaften Unternehmenserhalt ausreichend Finanzmittel in der Gesellschaft zu belassen, kein Unternehmen in Schwierigkeiten, greift nicht durch.

Zwar wird in der Kommentarliteratur zur Neuregelung in § 2a StromStG ver­einzelt vertreten, dass eine unbedingte, unbeschränkte und rechtlich bindende Verpflichtung eines weiteren Unternehmens oder eines anderen Rechtsträgers zur vollständigen Übernahme von Verlusten zugunsten dieses Unternehmens zu einer abweichenden Beurteilung führe. Dies soll insbesondere für klassische Gewinnabführungsverträge gelten (vgl. § 291 i.V.m. § 302 des Aktiengesetzes ‑‑AktG‑‑). Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass das wirtschaftliche Risiko auf das andere Unternehmen übertragen werde und somit faktisch nicht bestehe (so Möhlenkamp/Milewski, a.a.O., § 2a StromStG Rz 27; a.A. Bongartz/Jatzke/Schröer-Schallenberg, a.a.O., § 2a StromStG Rz 30).

Der Senat muss sich jedoch mit diesem Einwand nicht befassen, weil im vor­liegenden Streitfall tatsächlich keine Verlustübernahme vereinbart worden ist. Im Übrigen handelt es sich bei dem Vortrag der Klägerin, ihre Gesellschafter hätten sich vertraglich verpflichtet, ausreichend Finanzmittel in der Gesell­schaft zum dauerhaften Unternehmenserhalt zu belassen, um neuen Vortrag, der in der Revisionsinstanz unbeachtlich ist (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 20.03.2013 ‑ XI R 37/11, BFHE 240, 394, BStBl II 2014, 831, Rz 38).

cc) Das Merkblatt 1139a "Staatliche Beihilfen im Energie- und Stromsteuer­recht" der deutschen Zollverwaltung zum Formular 1139 "Selbsterklärung zu staatlichen Beihilfen" kann bereits deshalb nicht zugunsten der Klägerin her­angezogen werden, weil dessen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Nach Ziff. 3.3 des Merkblatts 1139a soll der Ausschlussgrund "Unternehmen in Schwierigkeiten" nicht relevant sein, wenn eine unbedingte, unbeschränkte und rechtlich bindende Verpflichtung eines weiteren Unternehmens oder eines anderen Rechtsträgers zur vollständigen Übernahme von Verlusten zugunsten dieses Unternehmens (Patronatserklärung, Gewinnabführungsvertrag nach § 291 AktG verbunden mit Verlustübernahme nach § 302 AktG) vorliegt. Das ist im Streitfall nicht gegeben.

dd) Die AGVO ist als Verordnung auf der Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV durch die Kommission erlassen worden und gilt nach Art. 288 Abs. 2 Satz 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat. Die dort enthaltenen Regelungen für Unternehmen in Schwierigkeiten (Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO) verstoßen nicht gegen das (primäre) Unionsrecht.

Die von der Klägerin als "hart" bezeichneten Kriterien für die Feststellung, ob sich ein Unternehmen in Schwierigkeiten befindet, dienen ausweislich des Erwägungsgrunds 14 der AGVO der Rechtssicherheit. Um Rechtssicherheit hinsichtlich der Frage zu schaffen, ob ein Unternehmen als Unternehmen in Schwierigkeiten gilt, sollten diesbezüglich eindeutige Kriterien festgelegt wer­den, die auch ohne eine detaillierte Untersuchung der besonderen Lage eines Unternehmens überprüfbar sind. Dass vom Verordnungsgeber übersehen wor­den wäre, dass einzelne Unternehmen durch diese Regelung erheblich und willkürlich im Wettbewerb benachteiligt würden, ist eine bloße Behauptung der Klägerin.

Eine ähnliche Regelung enthielt nämlich bereits die Verordnung (EG) Nr. 800/2008 der Kommission vom 06.08.2008 zur Erklärung der Vereinbar­keit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt in An­wendung der Artikel 87 und 88 EG-Vertrag (ABlEU 2008, Nr. L 214, 3). Nach deren Erwägungsgrund 15 sollte die Bestimmung des Begriffs "Unternehmen in Schwierigkeiten" vereinfacht werden, um den Verwaltungsaufwand der Mit­gliedstaaten zu verringern. Dieses Ziel hat der EuGH nicht in Frage gestellt und ausdrücklich entschieden, dass es dem Ziel der Vereinfachung zuwiderlie­fe, wenn von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten verlangt würde, bei der Entscheidung über die Beihilfegewährung selbst konkret zu beurteilen, ob sich das Unternehmen in Schwierigkeiten befinde (EuGH-Urteil Nerea vom 06.07.2017 ‑ C‑245/16, EU:C:2017:521, Rz 35, Zeitschrift für Wirtschafts­recht 2017, 1816).

Die Kommission verlässt mit dieser Regelung nicht den ihr gesteckten Rah­men. Es liegt auch kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vor, wie das FG zutreffend und überzeugend ausgeführt hat. Bei der Ausübung ihrer Befugnisse müssen auch die Organe der Europäischen Union die allge­meinen Rechtsgrundsätze beachten, die Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind und zu denen insbesondere die Grundsätze der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit zählen (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 EUV).

Im Übrigen könnten im Einzelfall die Beihilfen dem Genehmigungsverfahren nach Art. 108 Abs. 3 AEUV unterzogen werden. Die Einordnung als Unterneh­men in Schwierigkeiten führt nämlich hauptsächlich dazu, dass auf eine Ge­nehmigung der Beihilfe durch die Europäische Kommission nicht verzichtet werden kann. Daraus ergibt sich jedoch noch keine Wettbewerbsverzerrung, wie die Klägerin meint. Mit ihrer Argumentation wendet sie sich letztlich gegen die Beihilfen, welche ihren (wirtschaftlich gesunden) Wettbewerbern gewährt werden.

ee) Auch soweit die Klägerin eine willkürliche Diskriminierung und somit eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung (Art. 3, Art. 19 Abs. 3 GG) gegen­über ihren Wettbewerbern geltend macht, folgt der Senat dem nicht.

Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG-Be­schlüsse vom 21.06.2006 ‑ 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164, und vom 29.03.2017 ‑ 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106, BStBl II 2017, 1082). Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfG-Be­schluss vom 08.06.2004 ‑ 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412; BFH-Beschluss vom 01.09.2021 ‑ VI R 18/19, BFH/NV 2022, 13, Rz 14).

Im Streitfall fehlt es bereits an einer Ungleichbehandlung, weil die von der Klägerin erwähnten Wettbewerber keine Unternehmen in Schwierigkeiten i.S. von Art. 2 Nr. 18 AGVO sind und somit mit der Klägerin nicht gleichgestellt werden können. Dem Gesetzgeber steht es nämlich grundsätzlich frei, diejeni­gen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert.

5. Eine Vorlage an den EuGH sieht der erkennende Senat nicht als erforderlich an.

Der Senat berücksichtigt dabei zum einen, dass der EuGH in dem Urteil Adria-Wien Pipeline und Wietersdorfer & Peggauer Zementwerke (EU:C:2001:598, Slg. 2001, I‑8365, HFR 2002, 158) Gelegenheit hatte, sich zu vergleichbaren Regelungen in Österreich zu äußern.

Zum anderen ist die von dem Senat vorgenommene Auslegung des Art. 2 Nr. 18 Buchst. a AGVO wegen des Wortlauts der Vorschrift und wegen der Erwägungsgründe der Verordnung derart offenkundig, dass für einen vernünf­tigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.

Ein Anlass zur Einholung einer Vorabentscheidung des EuGH besteht demnach nicht (vgl. EuGH-Urteile CILFIT vom 06.10.1982 ‑ 283/81, Slg. 1982, 3415, Rz 16, und Consorzio Italian Management e Catania Multiservizi vom 06.10.2021 ‑ C‑561/19, EU:C:2021:799, ABlEU 2021, Nr. C 481, 11, ZfZ 2022, 12).

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

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