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BFH: Steuerliche Berücksichtigung eines Selbstbehalts bei einer privaten Krankenversicherung

  1. Der von einem Steuerpflichtigen vereinbarte und getragene Selbstbehalt ist kein Beitrag zu einer Krankenversicherung und kann daher nicht als Sonderausgabe gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG abgezogen werden.
  2. Er kann nur dann als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden, wenn er die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 EStG übersteigt.
  3. Ein darüber hinausgehender Abzug des Selbstbehalts ist von Verfassungs wegen nicht geboten.

BFH-Urteil vom 1.6.2016, X R 43/14 (veröffentlicht am 2.11.2016)

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a, § 33
GG Art. 1, Art. 20, Art. 3 Abs. 1

Vorinstanz: FG Köln vom 15.8.2013, 15 K 1858/12 (EFG 2014 S. 1477 = SIS 14 20 45)

A. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) sowie seine beiden Töchter haben private Krankenversicherungsverträge abgeschlossen. Dabei konnten aufgrund entsprechender Selbstbehalte geringere Versicherungsbeiträge mit dem Versicherungsunternehmen vereinbart werden. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2010 machte der Kläger Selbstbehalte für sich in Höhe von 1.800 € sowie für seine Töchter jeweils in Höhe von 1.080 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Da die Selbstbehalte in Höhe von insgesamt 3.960 € angesichts des Gesamtbetrags seiner Einkünfte von 190.796 € jedoch erheblich geringer waren als die zumutbare Belastung gemäß § 33 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG), wirkten sie sich steuerlich nicht aus.

Hiergegen wandte sich der Kläger. Mit seiner - nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen - Klage machte er geltend, ohne die Selbstbehalte träte annähernd eine Verdoppelung der Krankenversicherungsbeiträge ein. Deren fehlende steuerliche Berücksichtigung widerspreche der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), nach der die komplette Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die Krankenversicherung gewährleistet werden müsse. Entweder habe der Gesetzgeber die fehlende Abziehbarkeit der Selbstbehalte nicht bedacht oder es komme zu einer eklatanten Ungleichbehandlung.

Das Finanzgericht (FG) hat die Klage mit dem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2014, 1477 veröffentlichten Urteil abgewiesen. Dem Kläger stehe wegen der Selbstbehalte kein höherer Sonderausgabenabzug im Rahmen seiner Aufwendungen für Krankenversicherungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG zu; dies sei verfassungsrechtlich nicht bedenklich.

Der Kläger begründet seine Revision mit dem Verstoß gegen materielles Recht. Nach der Entscheidung des BVerfG vom 13.2.2008 2 BvL 1/06 (BVerfGE 120, 125) seien Krankenversicherungsbeiträge zur Basisversorgung unbeschränkt als Sonderausgaben zu berücksichtigen, da sie das Existenzminimum eines Bürgers nicht tangieren dürften. Dieser Grundsatz werde vom FG nicht beachtet.

Das FG habe sein Urteil darauf gestützt, dass er, der Kläger, hinsichtlich des Selbstbehalts keine Aufwendungen zur Erlangung des Versicherungsschutzes getätigt habe. Tatsächlich habe er im Klageverfahren eine Bescheinigung der Krankenversicherung vorgelegt, aus der sich klar und deutlich ergebe, dass der Krankenversicherungsbeitrag ohne Selbstbehalt deutlich höher gewesen wäre.

Beim Bundesfinanzhof (BFH) sei das Verfahren VI R 32/13 zur Frage anhängig gewesen, ob der Abzug von Krankheitskosten o.ä. erst nach einer Kürzung um die zumutbare Belastung mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Diesem Revisionsverfahren liege dieselbe steuerliche Problematik zugrunde, denn es bedeute keinen Unterschied, ob man einen Selbstbehalt vereinbare oder höhere Beiträge zahle.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil sowie die Einspruchsentscheidung vom 1.6.2012 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2010 vom 9.12.2011 dergestalt zu ändern, dass die Kosten des Selbstbehalts für ihn in Höhe von 1.800 € sowie der Selbstbehalte für seine beiden Töchter in Höhe von jeweils 1.160 € entweder als Sonderausgaben oder als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen unbeschränkt abgezogen werden.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) beantragt, die Revision zurückzuweisen.

B. Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

Die Revision ist hinsichtlich eines Betrages von 160 € unzulässig (unten I.) und wäre deshalb gemäß § 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Beschluss zu verwerfen. Da die Revision im Übrigen zulässig ist, ist über sie einheitlich durch Urteil zu entscheiden (s. BFH-Urteil vom 4.8.2011 III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380, Rz 7, m.w.N.).

Die Revision wird gemäß § 126 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückgewiesen.

I. Die Revision ist in Höhe von 160 € unzulässig. Der Kläger hat im Revisionsverfahren beantragt, die Kosten für den Selbstbehalt für sich in Höhe von 1.800 € und für seine beiden Töchter in Höhe von je 1.160 € - also insgesamt in Höhe von 4.120 € - als Aufwendungen unbeschränkt zum Abzug zuzulassen. Demgegenüber lautete sein Klageantrag, "weitere 3.960 € als Sonderausgaben zu berücksichtigen".

Auch wenn die Vermutung des FA nahe liegt, es könne sich hierbei um ein Versehen handeln, spricht gegen eine solche Annahme, dass es der Kläger versäumt hat, den vermeintlichen Fehler klarzustellen, nachdem das FA in seiner Revisionserwiderung auf die Differenz hingewiesen hatte. Daher muss der angerufene Senat von dem durch den Kläger bezifferten Antrag ausgehen.

Eine Erweiterung des Antrags, die - wie im Streitfall - darin liegen kann, dass der Kläger die Festsetzung der Steuer auf einen niedrigeren Betrag begehrt, ist im Revisionsverfahren ausgeschlossen. Insoweit ist die Revision mangels formeller Beschwer unzulässig (vgl. BFH-Urteil vom 22.12.2010 I R 110/09, BFHE 232, 415, BStBl II 2014, 119, Rz 30, m.w.N.).

II. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Das FG hat zu Recht entschieden, dass sich die vom Kläger getragenen Selbstbehalte im Streitfall steuerlich nicht auswirken können. Sie sind weder als Sonderausgaben (unter 1.) noch als außergewöhnliche Belastungen (unter 2.) zu berücksichtigen. Der Abzug dieser Aufwendungen ist von Verfassungs wegen nicht geboten (unter 3.).

1. Das FG hat zu Recht die vom Kläger geltend gemachten Selbstbehalte nicht als Sonderausgaben in Form von Beiträgen zu Krankenversicherungen nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG berücksichtigt.

Nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gehören zu den Sonderausgaben u.a. Beiträge zu Krankenversicherungen, wenn sie weder Betriebsausgaben noch Werbungskosten sind oder wie Betriebsausgaben oder Werbungskosten behandelt werden. Als eigene Beiträge des Steuerpflichtigen werden gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG auch die vom Steuerpflichtigen im Rahmen der Unterhaltsverpflichtung getragenen eigenen Beiträge i.S. des Buchst. a oder des Buchst. b eines Kindes behandelt, für das ein Anspruch auf einen Freibetrag nach § 32 Abs. 6 oder auf Kindergeld besteht.

a) Zu den Beiträgen zu Versicherungen i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG gehören nicht nur die eigentlichen Prämien, sondern auch die üblichen mit dem Versicherungsverhältnis zusammenhängenden und vom Versicherungsnehmer zu tragenden Nebenleistungen. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG muss es sich jedoch um Beiträge "zu" einer Krankenversicherung handeln. Daraus folgt, dass nur solche Ausgaben als Beiträge zu Krankenversicherungen anzusehen sind, die zumindest im Zusammenhang mit der Erlangung des Versicherungsschutzes stehen und damit - als Vorsorgeaufwendungen - letztlich der Vorsorge dienen (vgl. Senatsurteil vom 18.7.2012 X R 41/11, BFHE 238, 103, BStBl II 2012, 821, Rz 11, m.w.N.). Aufgrund dessen hat der erkennende Senat bei der Prüfung, ob die sog. Praxisgebühr als Sonderausgabe abziehbar ist, entschieden, dass Zahlungen aufgrund von Selbst- bzw. Eigenbeteiligungen an entstehenden Kosten keine Beiträge zu einer Versicherung sind (Senatsurteil in BFHE 238, 103, BStBl II 2012, 821, a.a.O).

In seinem Beschluss vom 8.10.2013 X B 110/13 (BFH/NV 2014, 154) hat der Senat diese Auffassung bestätigt und dahingehend präzisiert, dass sich die Ausführungen auch auf einen Selbstbehalt beziehen, der im Rahmen eines privatrechtlichen Krankenversicherungsvertrags vereinbart worden ist. Er hat dies damit begründet, dass die Selbstbeteiligung keine Gegenleistung für die Erlangung von Versicherungsschutz ist, sondern gerade das Gegenteil. Denn in Höhe des Selbstbehalts übernimmt die Krankenversicherung nicht das Risiko, für künftige Schadensfälle eintreten zu müssen. Vielmehr verbleibt das Risiko in diesem Umfang beim Versicherungsnehmer. Der Senat hat auch klargestellt, dass aus diesem Grund Aufwendungen in Höhe des Selbstbehalts nicht als Beitragserstattung mit umgekehrtem Vorzeichen angesehen werden können, da Beitragserstattungen Anreize sind, die bewirken sollen, dass die Versicherung vertraglich vereinbarte Leistungen nicht erbringen muss, weil der Versicherungsnehmer keine versicherten Schäden erlitten hat oder er solche Schäden nicht geltend macht. Demgegenüber fallen die Aufwendungen im Rahmen des Selbstbehalts außerhalb des vertraglich vereinbarten Versicherungsschutzes an. Etwas anderes gilt nach Auffassung des Senats auch dann nicht, wenn - wie im Streitfall - der Selbstbehalt zu bezifferbar geringeren Versicherungsprämien geführt hat.

Soweit der Kläger ohne Selbstbehalt Prämien und damit Sonderausgaben hätte ersparen können, ist dies ein fiktiver Sachverhalt, während der Besteuerung der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt zugrunde zu legen ist (siehe Senatsbeschluss in BFH/NV 2014, 154, Rz 7 ff., m.w.N.).

Das BVerfG hat die gegen den Senatsbeschluss gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (Beschluss vom 16.2.2015, 2 BvR 49/14, nicht veröffentlicht).

b) Die Senatsrechtsprechung steht - soweit erkennbar - nicht nur mit der finanzgerichtlichen Rechtsprechung im Einklang (neben der Vorinstanz s. auch Urteile FG Düsseldorf vom 6.6.2014, 1 K 2873/13 E, EFG 2014 S. 1789, Rz 32; FG Münster vom 17.11.2014, 5 K 149/14 E, Sozialrecht und Praxis 2015, 196; FG Rheinland-Pfalz vom 28.4.2015, 3 K 1387/14, EFG 2015, 1357, Rz 42; ebenso Niedersächsisches FG vom 6.5.2013, 9 K 265/12, unveröffentlicht, als Vorinstanz des Beschlusses in BFH/NV 2014, 154), sondern auch mit der Auffassung der Finanzverwaltung (vgl. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 19.8.2013, BStBl II 2013, 1087, Rz 69) sowie der überwiegenden Auffassung des Schrifttums (vgl. z.B. Kulosa in Herrmann/Heuer/Raupach, § 10 EStG Rz 155; Schmidt/Heinicke, EStG, 35. Aufl., § 10 Rz 70; Fischer in Kirchhof, EStG, 15. Aufl., § 10 Rz 32; Stöcker in Bordewin/ Brandt, § 10 EStG Rz 594; Lindberg in Frotscher, EStG, Freiburg 2011, § 10 Rz 70; Bauschatz in Korn, § 10 EStG Rz 202.13; Dommermuth/Hauer, Der Betrieb 2009, 2512, 2514; Risthaus, Deutsche Steuer-Zeitung 2009, 669/676; Liess, Neue Wirtschaftsbriefe - NWB - 2011, 1978/1988; Myßen/Wolter, NWB 2011, 280/288; dies., NWB 2009, 2313/2320).

c) Sofern der Kläger rügt, das alleinige Abstellen auf den Begriff "Beiträge" führe die Grundsätze des BVerfG-Beschlusses in BVerfGE 120, 125 ad absurdum, und die Auffassung vertritt, es dürfe unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 120, 125 nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen führen, ob ein Versicherungsnehmer nur Beiträge zahle oder eine Kombination aus Beiträgen und einem Selbstbehalt wähle, kann er hierdurch eine Änderung der Senatsrechtsprechung nicht erreichen.

aa) Seiner Ansicht steht zunächst der Wortlaut des § 10 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Buchst. a EStG entgegen, in dem Beiträge zu Krankenversicherungen als Sonderausgaben abziehbar sind. Bestätigt wird dieser Befund zudem durch die Gesetzesmaterialien zum Entwurf des Bürgerentlastungsgesetzes Krankenversicherung. Zur Begründung der Änderung des § 10 Abs. 1 Nr. 3 EStG wird dargelegt, hierdurch werde der bisherige Sonderausgabenabzug für sonstige Vorsorgeaufwendungen in einen Sonderausgabenabzug für Beiträge (Hervorhebung nur hier) zugunsten einer Kranken- und Pflegeversicherung umgestaltet, die den Versicherten in die Lage versetzten, sich im Umfang des sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveaus gegen Krankheit und Pflegebedürftigkeit abzusichern (BTDrucks 16/12254, S. 21). Es ist davon auszugehen, dass dem Gesetzgeber die Auffassung bekannt war, dass Zahlungen im Rahmen eines Selbstbehalts zwar Ausgaben, aber keine Beiträge zu einer Versicherung und damit keine Zahlungen sind, die einen Versicherungsschutz bewirken (s. dazu bereits Söhn, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 10 Rz E 129, m.w.N.; Hessisches FG vom 12.12.1974 VIII 61/74, EFG 1975, 200). Hinweise darauf, dass dieses Begriffsverständnis der Neuregelung nicht zugrunde zu legen sei, sind den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen.

bb) Anders als der Kläger meint, ist ein Verstoß gegen die Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 120, 125 nicht gegeben. Das BVerfG hat in diesem Beschluss ausdrücklich nur entschieden, die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a i.V.m. § 10 Abs. 3 EStG a.F. sei mit dem Grundgesetz (GG) unvereinbar, soweit die Beiträge (Hervorhebung nur hier) zu einer privaten Krankheitskostenversicherung (Vollversicherung) und einer privaten Pflegepflichtversicherung, die dem Umfang nach erforderlich seien, um dem Steuerpflichtigen und seiner Familie eine sozialhilfegleiche Kranken- und Pflegeversorgung zu gewährleisten, nicht ausreichend erfasst würden. Die Behandlung der Selbstbehalte, die im Streitfall von dem dortigen Kläger ebenfalls vereinbart worden waren, ist demgegenüber vom BVerfG nicht aufgegriffen und - auch nicht mittelbar - in die Entscheidung einbezogen worden.

Zur Frage, inwieweit die Begrenzung der steuerlichen Abziehbarkeit der getragenen Selbstbehalte dem verfassungsrechtlich zu verschonenden Existenzminimum widersprechen könnte, wird auf die Ausführungen unter B.II.3. verwiesen.

d) Der Senat verkennt nicht, dass der Kläger im Streitjahr unter Einbeziehung der nur eingeschränkten steuerlichen Entlastung aufgrund der von ihm geleisteten Krankenversicherungsbeiträge stärker wirtschaftlich belastet wird, als er belastet worden wäre, hätte er keine Selbstbehalte vereinbart. Dieses Ergebnis ist aber die Konsequenz der ihm eingeräumten Freiheit, seinen Krankenversicherungstarif zu wählen und sich für die - auch unter Berücksichtigung der steuerlichen Implikationen - im Einzelfall voraussichtlich günstigste Versicherungsvariante zu entscheiden (vgl. z.B. die Berechnungsbeispiele in Liess, NWB 2011, 1978/1988, und Myßen/Wolter, NWB 2011, 280/288).

2. Die Selbstbehalte sind im Streitfall auch nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar.

a) Der Senat wird an der Prüfung, ob die Selbstbehalte ggf. als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt werden müssen, - im Gegensatz zur Auffassung des FA - nicht dadurch gehindert, dass der Kläger im Klageverfahren lediglich beantragt hatte, die Selbstbehalte als Sonderausgaben zu berücksichtigen.

Zwar wäre eine im Revisionsverfahren nach § 123 Abs. 1 FGO unzulässige Klageänderung anzunehmen, wenn der erstmals in diesem Verfahrensstadium gestellte Antrag einen anderen Streitgegenstand betreffen würde als der Klageantrag (s. z.B. BFH-Urteil vom 4.5.2006 VI R 17/03, BFHE 213, 383, BStBl II 2006, 830, unter II.3.). Streitgegenstand im finanzgerichtlichen Verfahren ist aber - so bereits der Große Senat des BFH - nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids. Dies bedeutet, dass die Finanzgerichte im Rahmen des klägerischen Begehrens nicht nur die Rechtmäßigkeit bzw. die Unrechtmäßigkeit der festgesetzten Steuer aus den von den Beteiligten genannten Gründen zu prüfen haben; vielmehr haben sie die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheids im Rahmen dieses Begehrens ohne Rücksicht auf die geltend gemachten Begründungen zu beurteilen (s. Beschluss vom 26.11.1979 GrS 1/78, BFHE 129, 117, BStBl II 1980, 99, unter C.II.).

Da der Kläger im Streitfall die steuerliche Berücksichtigung der von ihm getragenen Selbstbehalte begehrt, hat der Senat alle Rechtsgrundlagen zu untersuchen, aufgrund derer ggf. ein Steuerabzug möglich wäre. Dazu gehört auch § 33 EStG.

b) Das FA hat im Rahmen der Steuerfestsetzung zu Recht entschieden, dass die vom Kläger für sich und seine Töchter als Selbstbehalte aufgewendeten Krankheitskosten zwar grundsätzlich unter den Tatbestand der außergewöhnlichen Belastungen fallen, sie sich im Streitfall aber steuerlich nicht auswirken, weil die Aufwendungen die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 1 und Abs. 3 EStG) nicht überschritten haben. Diese Vorschrift differenziert bei der Ermittlung der zumutbaren Belastung nicht zwischen Krankheitskosten und anderen Aufwendungen, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind; der Wortlaut ist insoweit eindeutig (vgl. BFH-Urteil vom 2.9.2015 VI R 32/13, BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151, Rz 13).

3. Der hiernach vorzunehmende Abzug einer zumutbaren Belastung auch bei Krankheitskosten, die aufgrund der vereinbarten Selbstbehalte zu tragen sind, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Beurteilung, ob Aufwendungen des Steuerpflichtigen aus dem Bereich der privaten Lebensführung durch einkommensteuerrechtliche Regelungen hinreichend berücksichtigt werden, ist das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums, das aus Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG abzuleiten ist. Danach hat der Staat das Einkommen des Bürgers insoweit steuerfrei zu stellen, als dieser es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen eines menschenwürdigen Daseins für sich und seine Familie benötigt. Dem Grundgedanken der Subsidiarität, wonach Eigenversorgung Vorrang vor staatlicher Fürsorge hat, entspricht es, dass sich die Bemessung des einkommensteuerrechtlich maßgeblichen Existenzminimums nach dem im Sozialhilferecht niedergelegten Leistungsniveau richtet. Was der Staat dem Einzelnen voraussetzungslos aus allgemeinen Haushaltsmitteln zur Verfügung zu stellen hat, das darf er ihm nicht durch Besteuerung seines Einkommens entziehen (ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. z.B. Beschluss in BVerfGE 120, 125, unter D.I.1., m.w.N.). Aufwendungen des Steuerpflichtigen für die Kranken- und Pflegeversorgung, insbesondere entsprechende Versicherungsbeiträge, können ebenso wie das sog. sächliche Existenzminimum für Nahrung, Kleidung, Hygiene, Hausrat, Wohnung und Heizung Teil des einkommensteuerrechtlich zu verschonenden Existenzminimums sein (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125, unter D.II.1.).

Bei Aufwendungen für die Kranken- und Pflegeversorgung ist allerdings streng auf das sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau und nicht auf das Leistungsniveau der einschlägigen Zweige der Sozialversicherungen abzustellen. Denn das Prinzip der Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet dem Steuerpflichtigen einen Schutz des Lebensstandards nicht auf Sozialversicherungs-, sondern nur auf Sozialhilfeniveau (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 120, 125, unter D.II.3.).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze geht der erkennende Senat zunächst davon aus, dass Aufwendungen für eine Kranken- und Pflegeversorgung dem Grunde nach nicht nur die Beiträge zur Krankenversicherung, sondern ebenso den eigentlichen Sachaufwand für eine Krankenversorgung umfassen können. Denn auch das BVerfG sieht es als unerheblich an, ob die Kranken- und Pflegeversorgung indirekt über eine Versicherung oder direkt über Versorgungsleistungen sichergestellt wird.

c) Die hier streitigen Aufwendungen für Krankheitskosten im Rahmen von Selbstbehalten sind indes nicht Teil des sozialhilferechtlich gewährleisteten Leistungsniveaus. Ob dieses Leistungsniveau grundsätzlich in jedem Fall eine das Existenzminimum quantifizierende Vergleichsebene darstellt (so BFH-Urteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151, Rz 19), kann der erkennende Senat daher offenlassen.

aa) Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen nach § 42 Nr. 2 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) i.V.m. § 32 Abs. 5 Satz 1 SGB XII die Aufwendungen für eine bei einem privaten Versicherungsunternehmen bestehende Versicherung, soweit sie angemessen sind. Dies gilt nach § 32 Abs. 5 Satz 5 SGB XII gleichfalls für die Aufwendungen für die Pflegeversicherung.

Dies entspricht den angemessenen Beiträgen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung (vgl. z.B. Schmidt, in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Kommentar, § 32 SGB XII, Rz 41 und 47; Flint in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 32 Rz 14; Bieritz-Harder in SGB XII, § 32 Rz 23).

Im Anwendungsbereich des SGB XII ist der Beitragssatz als angemessen anzusehen, der sich aus § 12 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen in der im Streitjahr geltenden Fassung (Versicherungsaufsichtsgesetz - VAG -) ergibt (so Landessozialgericht - LSG - Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.6.2015, L 23 SO 268/12, juris, Rz 29 f.; s. auch Coseriu, in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl., § 32 SGB XII, Rz 8). Angemessen können indes nur die Beiträge sein, die der Hilfsbedürftige auch schuldet, d.h. es ist der Beitragssatz entscheidend, den der Versicherungsgeber vom Versicherungsnehmer im Falle der Hilfsbedürftigkeit gemäß § 12 Abs. 1c Satz 4 VAG (seit dem 1.1.2016 § 152 Abs. 4 Satz 1) verlangen kann (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.6.2009 L 2 SO 2529/09 ER-B, juris, Rz 16). Hieraus sowie aus § 12 Abs. 1c Satz 5 VAG folgt, dass lediglich der Beitrag zur privaten Krankenversicherung bis zur Hälfte des Höchstbeitrages zur gesetzlichen Krankenversicherung, also bis zur Höhe des halben Beitrags für den Basistarif als Bedarf im Rahmen des § 32 Abs. 5 SGB XII zu übernehmen ist (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.6.2013 L 9 SO 619/11, juris, Rz 24, unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG -, vgl. Urteil vom 10.11.2011 B 8 SO 21/10 R, BSGE 109, 281, Rz 15; ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 18.1.2010 L 7 SO 182/09 B ER, juris, Rz 31 ff.).

Eine Verpflichtung des Sozialhilfeträgers zur Übernahme des vereinbarten Selbstbehalts bzw. des zu tragenden Eigenanteils für die private Kranken- und Pflegeversicherung nach § 32 Abs. 5 SGB XII ist hingegen ausgeschlossen, wenn dem Versicherten ein Wechsel in den Basistarif im Umfang der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zumutbar ist. Bietet das private Versicherungsunternehmen den Basistarif ohne Selbstbehalt an, so ist die Übernahme des Selbstbehalts durch den Sozialhilfeträger nicht angemessen i.S. des § 32 Abs. 5 Satz 1 SGB XII und damit ausgeschlossen (so LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.6.2013 L 9 SO 619/11, juris, Rz 25; wohl auch Bayerisches LSG, Urteil vom 19.7.2011 L 8 SO 26/11, juris, Rz 45; Hessisches LSG, Beschluss vom 14.12.2009 L 7 SO 165/09 B ER, juris, Rz 58).

bb) Auch bei Beziehern von Arbeitslosengeld II ist die Übernahme der anteiligen Selbstbeteiligung als Zuschuss zu den Beiträgen zur privaten Krankenversicherung im Grundsatz nicht möglich. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BSG bildet § 26 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) eine Rechtsgrundlage ausschließlich für die Beteiligung der SGB II-Träger an Versicherungsbeiträgen, nicht hingegen für die Tragung von Krankenversorgungskosten im Rahmen vertraglich vereinbarter Selbstbehalte. Eine Übernahme des jährlichen Eigenanteils an den Behandlungskosten sei bereits wegen des eindeutigen Wortlauts des § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II einerseits als auch des § 12 Abs. 1c Satz 5 und 6 VAG andererseits nicht möglich. Maßgeblich ist danach der vom SGB II-Träger zu zahlende "Beitrag", den die Leistungsberechtigten nach dem SGB II an ihr Versicherungsunternehmen zu entrichten hätten, was sich sowohl aus dem Wortlaut, der Systematik des § 12 Abs. 1c VAG als auch der Rechtsentwicklung des § 26 SGB II ergibt (so ausführlich Urteil des BSG vom 29.4.2015 B 14 AS 8/14 R, BSGE 119, 7, Rz 16 ff.). Den Beziehern von Arbeitslosengeld II ist der Wechsel in den PKV-Basistarif auch zuzumuten (Urteil des BSG vom 16.10.2012 B 14 AS 11/12 R, Sozialrecht 4-4200 § 26 Nr. 3, Rz 24).

Es hat keinen Einfluss auf das materiell-rechtlich zu verstehende sozialhilferechtlich gewährleistete Leistungsniveau, dass die Beiträge bis zum Zeitpunkt eines Wechsels in den Basistarif der privaten Krankenversicherung wegen einer fehlenden Beratung durch den Grundsicherungsträger und damit aus Verfahrensgründen unter Umständen einen Härtefallmehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II bilden können (Urteil des BSG in BSGE 119, 7, Rz 25 ff.).

d) Eine Tragung von Krankheitskosten aufgrund des Selbstbehalts könnte zwar dann nicht mehr zumutbar sein, wenn dadurch in das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum eingegriffen werden sollte. Solange allerdings der tatsächliche Umfang der von den Steuerpflichtigen erbrachten Aufwendungen für die Zuzahlungen der Höhe nach nicht geeignet ist, dieses Existenzminimum zu tangieren, hält der erkennende Senat eine Einschränkung der zumutbaren Belastung von Verfassungs wegen nicht für geboten (ebenso BFH-Urteil in BFHE 251, 196, BStBl II 2016, 151, Rz 27). Im Streitfall hatte der Kläger zwar Aufwendungen in Höhe von 3.960 € zu tragen. Angesichts des Gesamtbetrags seiner Einkünfte in Höhe von 190.796 € ist sein einkommensteuerrechtliches Existenzminimum aber nicht betroffen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.

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    Godehard Wedemeyer, 47807 Krefeld

  • "Ich bin sehr zufrieden - rundum ein Lob von meiner Seite. Ich nutze die SIS-Datenbank schon seit vielen Jahren und finde sie sehr, sehr gut."

    Reinhard Geiges, Finanzbeamter, 70173 Stuttgart

  • "Herzlichen Dank für die schnelle Antwort. Das funktioniert, wie alles bei Ihnen, wunderbar. An dieser Stelle mal ein großes Lob an das gesamte Team. Ich bin wirklich froh, dass es Sie gibt."

    Uwe Lewin, Geschäftsführer Exacta Steuerberatungs GmbH, 07546 Gera

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  • Online-Datenbank schon ab 32,00 € inkl. USt

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